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Krúdy, G u. Szerb, A u. Szép, E

Krúdy, G u. Szerb, A u. Szép, E

Titel: Krúdy, G u. Szerb, A u. Szép, E Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ich liebte eine schöne Frau: Miniaturen
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sage ich, nicht ich habe sie gelernt, man hat sie mich gelehrt.
    Der Herr Lehrer musste, wenn er etwas erklärte, nach jedem zweiten Wort husten. Ich beobachtete ihn, dachte, er müsse wohl krank sein, weil er so oft hustete. Wenn ihm also ein Hustenanfall manchmal die Stimme nahm, wandte er sich von der Tafel ab und blickte auf die weiße Wand, und da erkannte ich an seinen Augen, dass er gänzlich abwesend war. Auch seinen Adamsapfel konnte ich dann sehen, denn der bewegte sich zwischen den beiden Enden des blassen Stehkragens auf und ab. Unterhalb des Adamsapfels betrachtete ich die bescheidene hellblaue Krawatte des Herrn Lehrer, denn auch sie fand mein Interesse. Meine Hand notierte ins Heft, was der Lehrer erklärte; beim Schreiben riss ich sie oft hoch, um die Müdigkeit herauszuschütteln. Doch die Algebra-Aufgabe ging bei mir unter Umgehung des Gehirns vom Ohr direkt in die Hand. Wenn ich dann zum Abfragen an die Tafel gerufen wurde, griff ich gleich nach der Kreide und dem Hasenfuß am Rand des Katheders und schrieb die lange Aufgabe, die mir der Herr Lehrer diktierte, bußfertig an die Tafel. Dann wurde es still, beängstigend still, ungefähr so, wie wenn in der Regieanweisung für den Schauspieler eine »große Pause« empfohlen ist. Der Herr Lehrer schaute mich an, ich schaute auf die Tafel und überlegte.
    Die Klasse saß so stumm wie das Publikum im Theater. Mir ging dann stets allerlei durch den Kopf. Ich erinnere mich, dass ich einmal über den Hasenfuß nachdachte, den ich in der linken Hand hielt. Dieser Hasenfuß ersetzte bei uns den Schwamm für die Tafel. Er war schon ziemlich abgenutzt und von der vielen Kreide ganz grau, die Sohle platt gedrückt. Es war ein seltsames Gefühl, den Hasenfuß in der Hand und an den Fingerspitzen das feine Häschenfell zu spüren. Ausgehend von diesem Hasenfuß kam ich auf die anderen drei Füße des Hasen. Welcher Bestimmung diese wohl zugeführt worden sind? Der in meiner Hand musste sich mit Algebra abgeben, die anderen haben es womöglich besser getroffen und hoppeln immer noch über Wiesen und Felder. Der vierte Fuß fehlte ihnen gewiss sehr, denn Hasen laufen ja im Allgemeinen auf vier Beinen. Die anderen drei können jetzt gewiss nur humpeln, wie sehr sie sich auch mühen. Vermissen und bedauern wohl den vierten Fuß, denn sicher haben sie sich als gute Geschwister alle herzlich geliebt, waren im selben Augenblick zur Welt gekommen und aneinander gewöhnt, in guten und schlechten Tagen. Und dann erschien vor meinem geistigen Auge der ganze unversehrte Hase.
    »Nun, wird’s bald?«, redete mich der Herr Lehrer barsch an.
    Ich wandte mich zum Katheder hin. Der Lehrer sah etwas entrückt über mich weg. Ich dachte an den Hasen, seine Stupsnase, die langen Barthaare, die zwei flinken Ohren und den Stummelschwanz. Mir ging durch den Kopf, dass der Hase, dessen vierten Fuß ich gerade fest in der Hand hielt, möglicherweise getötet worden war. Da schloss der Hase, den ich vor Augen hatte, plötzlich seine Augen und ließ die langen Löffel sinken. Es tat mir weh, den Lauf des toten Hasen in der Hand zu haben.
    »Also los, denk doch nach!«, sagte der Herr Lehrer mit erhobener Stimme und nahm seinen Stift. Ich überlegte. Und mein Verdacht, dass der Hase offenbar tatsächlich getötet worden war, verstärkte sich. Ich hatte auf den Feldern auch schon Hasenjagden erlebt, dabei aber immer nur gesehen, wie der Jäger das Gewehr hochreißt und es anständig krachen lässt, worauf der Hase blitzartig lossprintet und irgendwo verschwindet. Ich dachte, man würde auf Hasen schießen, weil sie danach so toll rennen, Haken schlagen und die Jäger sich daran ergötzen können. Doch dieser abgetrennte Hasenfuß führte mir die wahre Tragödie vor Augen. Das Fenster stand offen, denn es war ein milder Frühlingstag. Unser Klassenzimmer lag im ersten Stock, ich schaute hinaus, jenseits der Häuser sah ich die hellgrün belaubten Bäume und am Himmel seidig weiße Wolken.
    »So steht es also«, sagte der Herr Lehrer ernst und sah in sein Notizbüchlein. Ich schämte mich. Wenn er nur endlich die Vier eintragen würde und ich mich wieder neben Pali in die Bank setzen könnte. Der Hase da draußen auf dem Feld musste also sterben, dachte ich, und das bedrückte mich. Der Herr Lehrer beugte sich vor, schrieb die Vier in sein Büchlein und sah mich gar nicht mehr an:
    »Wisch die Tafel sauber und setz dich!«
    Ich hob den Hasenfuß hoch, wischte die Aufgabe weg und betrachtete

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