Krumme Touren in Texas
Nacht zog sich endlos hin, über ein
Jahrtausend ungefähr. Wir verbrachten mindestens
noch eine Stunde in der Kirche, dann wurden wir
zum Verhör und Unterschreiben von Aussagen zum
Polizeipräsidium in die Innenstadt verfrachtet. Frank
erlaubte mir gegen zwei, sein Telefon zu benutzen.
Ich rief Lily an, um ihr zu sagen, daß es mir gut ging.
Die übrige Zeit mußte ich auf einem harten Stuhl
sitzen, meine Geschichte erzählen, harte, alte Donuts
essen und graue Kaffeebrühe trinken. Es war
trotzdem nicht schlecht – ich höre mich gern reden.
Schließlich weiß ich nie, was ich als nächstes sagen
werde.
Frank schickte mich um sechs Uhr morgens mit
einem Streifenwagen nach Hause. Mein Hals tat weh,
meine Klamotten waren feucht, meine Augen fühlten
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sich an wie eine Sandkiste, und ich hatte einen
Tatterich – zuwenig Schlaf und zuviel Kaffee.
Als ich ins Haus spazierte, saßen Lily, Park und
Charlotte am Cocktailtisch und tranken Kaffee.
Ich fragte: »Du liebe Güte, habt ihr nicht
geschlafen?«
»Wer kann denn schlafen, wenn so etwas
passiert?« rief Lily. »Du siehst furchtbar aus! Komm,
du mußt aus deinen Sachen raus, ich lasse dir ein
heißes Bad einlaufen.«
»Das klingt wunderbar. Ich fühle mich, als hätte
ich ein Faß Rahm mit einer Pinzette gebuttert.«
Ich weichte mich in der Wanne ein, bis ich wie
eine Backpflaume aussah, dann wickelte ich mich in
meinen Morgenmantel, schlurfte ins Wohnzimmer
und ließ mich in die chromlederne Chaiselongue
plumpsen.
»Was ist mit Jasmine?« fragte Charlotte
unglücklich.
»Sie ist entwischt.«
»Sie ist entwischt? Wie ist das passiert?« fragte
Park und zündete sich eine Zigarette an.
»Sie hat mich ausgetrickst. Sie hat gesagt, sie
wollte eine Decke holen, um Bitsy zuzudecken, und
hat die Biege gemacht.«
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Lily lächelte in sich hinein, als Charlotte aufschrie:
»Du hast sie gehen lassen!«
Ich zuckte die Achseln.
»Wo sie wohl hin ist?« fragte Lily, kam zu mir und
setzte sich vor mich auf den Fußboden. Sie lehnte den
Kopf zurück, so daß ihr schwarzes Haar dekorativ
über mein Bein fiel.
»Ich schätze, sie wird Kurs auf Südamerika
nehmen. Da unten lieben sie Rothaarige.« Ich lachte.
»Vor allem gutaussehende, feurige Rothaarige.
Insbesondere gutaussehende, feurige Rothaarige mit
Geld wie Heu.«
»Was meinst du damit?« fragte Park.
»Tja, ich bin sicher, sie hat immer gewußt, daß ihre
Glückssträhne eines Tages zu Ende sein würde und
sie die Stadt schleunigst verlassen müßte.
Wahrscheinlich hat sie ihre Flucht seit Jahren geplant
und ein hübsches Sümmchen auf einem Schweizer
Konto beiseite gelegt.«
Park sagte: »Ich verstehe die krumme Tour mit der
Kirche, aber wer hat die Stovalls getötet?«
»Tony Garcia war’s, da bin ich sicher. Aber ich
weiß nicht, wer ihm den Auftrag erteilt hat und
warum. Donnigan und Smiley haben fleißig ihre
Unschuld beteuert, als ich das Präsidium verließ. Aus
irgendeinem Grund glaube ich ihnen«,, sagte ich.
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Das Telefon schrillte, und ich setzte mich an den
Schreibtisch und nahm ab.
»Hollis, hier ist Jasmine. Ich wollte nicht
verschwinden, ohne mit dir zu sprechen. Ich muß
mich bei dir bedanken, daß du mich hast gehen
lassen.« Ihre Stimme war tief und kühl.
»Ich habe dich nicht gehen lassen – du hast mich
ausgetrickst«, protestierte ich.
»Ich glaube nicht, daß irgend jemand dich
austrickst, Hollis.« Sie lachte. »Du hast mich wegen
Charlotte gehen lassen, das weiß ich. Wie auch
immer, ich mußte anrufen, um dir zu danken. Ich
wünschte, es gäbe etwas, was ich als Gegenleistung
tun könnte.«
»Du kannst ein paar Fragen beantworten.«
»In Ordnung.«
Wir telefonierten eine halbe Stunde, bis ich die
Informationen hatte, die ich brauchte. Sie war so ans
Lügen gewöhnt, daß es eine Weile dauerte, bis sie
mit der Wahrheit rausrückte – oder wenigstens so
viel, daß die Geschichte einen Sinn ergab. Schließlich
sagte sie: »Ich muß jetzt los. Sag Charlotte, ich werde
oft an sie denken.«
»Aber klar.«
»Ich habe sie wirklich gern«, sagte sie ruhig.
»Klar doch.«
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Die Leitung war tot, und ich hängte langsam die
Hörmuschel in die Gabel an der Seite des Ständers.
Ich nahm das Telefonbuch, suchte eine Nummer raus
und wählte sie.
»Mr. Willson«, sagte ich, als er sich meldete. »Hier
ist Hollis Carpenter. Schwester Jasmine ist
verschwunden – und die Kirche der Jesus People
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