Krumme Touren in Texas
ich ihnen nicht
verdenken – ich jagte mir selbst Angst ein.
»Los, ins Büro«, sagte ich und forderte sie mit
einem Wink auf, vor mir her zu gehen.
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»Was wird mit ihm?« fragte Smiley und deutete
auf Dub, der sich auf dem Boden wälzte.
»Daran hätte er denken müssen, bevor er mit dem
Messer auf mich losging.«
»Sie sind eine grausame Frau«, sagte Donnigan
und wischte sich das Gesicht.
Sie trotteten vor mir her zu Schwester Jasmines
Büro. Überall auf dem Boden und Schreibtisch lagen
Papiere verstreut. Charlotte saß mit blassem Gesicht
und aufgerissenen Augen in einem der rosaroten
Lehnsessel, als ich die beiden Männer durch die Tür
trieb. Bitsy lag auf dem weißen Sofa, das Gesicht
kalkweiß, was von seinem Hemd übrig war voller
Blut. Schwester Jasmine saß bei ihm und drückte ein
Stück Stoff auf seine Brust, um die Blutung zu stillen.
Ihre Miene war grimmig, als sie mich ansah und
leicht den Kopf schüttelte.
Ich bedeutete den beiden Männern mit einer
Handbewegung, sich hinzusetzen, dann ging ich zum
Schreibtisch, zündete eine Zigarette an, durchquerte
das Zimmer und steckte sie Jasmine zwischen die
Lippen. Sie nickte dankbar und nahm einen tiefen
Zug.
»Es ist alles meine Schuld«, sagte Charlotte leise
weinend. »Sie sind mir zu der Touristenresidenz
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gefolgt. Ich hätte auf dich hören sollen, Hollis. Ich
hätte zu Hause bleiben müssen.«
»Vergiß es. Hauptsache, dir ist nichts passiert. Es
ist nicht deine Schuld, daß du überhaupt in diese
Schweinerei reingezogen wurdest«, sagte ich. »Ist
alles in Ordnung mit dir?«
»Ja, ich bin in Ordnung.«
»Gut. Geh nach draußen vor die Kirche. Lily
wartet in ihrem Wagen. Ihr fahrt zu mir und ruft die
Polizei. Sagt ihnen, sie sollen ein paar Krankenwagen
mitbringen.«
»Ich will hier bei Jasmine bleiben«, sagte Charlotte
ruhig.
Ich betrachtete die große, gutaussehende,
rothaarige Frau auf der Couch. Ich konnte es
Charlotte eigentlich nicht verübeln.
Jasmine blickte hoch zu mir, dann zu Charlotte,
und ein Mienenspiel, das ich nicht entziffern konnte,
glitt über ihr Gesicht. »Nein, Charlotte. Du gehst
jetzt. Du sollst nicht noch mehr in diese Geschichte
hineingezogen werden. Tu, was Hollis sagt.«
Charlotte stand langsam auf, ging zu Jasmine,
beugte sich vor und küßte sie.
»Rufst du mich nachher an?« flüsterte sie und
berührte das rote Haar der Evangelistin leicht mit der
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Hand. Sie blieb einen Augenblick so stehen, dann
ging sie.
Die beiden Männer glotzten die Frauen an.
Donnigans Mund kräuselte sich verächtlich, während
er zuschaute. Er bewegte die Lippen, als wollte er
etwas sagen.
»Halt’s Maul, Donnigan«, kam ich ihm zuvor.
Auf dem Sofa erzitterte Bitsy, sagte »Ach« und
starb.
Jasmine richtete sich auf, schloß ihm die Augen,
dann schloß sie die eigenen und holte tief Luft. Sie
saß einen Augenblick so da, dann stand sie auf, ging
zum Schreibtisch und warf sich auf ihren Stuhl. »Was
jetzt?« fragte sie mich mit einem bitteren Lächeln.
»Jetzt will ich die Geschichte ganz kapieren, bevor
die Bullen anrücken«, sagte ich. »Mal sehen, ob ich
richtig liege.«
Die drei schwiegen, und ich fing an. »Ich schätze,
daß Jasmine ihre Karriere als kleine Betrügerin
angefangen hat, die versuchte, über die Runden zu
kommen, um für Chuckie und sich zu sorgen.
Irgendwann in ihrer Laufbahn kam sie auf die Idee
mit der Evangelistennummer. Sie sieht gut aus, ist
intelligent und hat Charisma.« Ich hielt inne und
lächelte sie an. Sie erwiderte mein Lächeln und
verneigte sich huldvoll vor den Komplimenten.
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»Es fing an mit Erweckungsversammlungen, den
Kollektenteller kreisen lassen, die Opfergaben
einkassieren und weiterziehen zum nächsten
gottverlassenen Kuhdorf mit der nächsten Horde
Leimkriecher. Aber sie wurde immer besser, die
Massen mochten sie, und sie hatte es satt, von Ort zu
Ort zu wandern. Zu der Zeit war sie in Houston
gelandet und beschloß, eine Weile zu bleiben. Es gab
reichlich Geld für leichte Arbeit. Ach, geschenkt, für
eine Gaunerin ist das doch keine Arbeit – einen
Verein
treuherziger
Deppen
einzuwickeln.
Inzwischen war die Macht, andere zu beherrschen,
wahrscheinlich sogar eine bessere Belohnung als das
Geld selbst.«
Ich nahm meine Pistole in die andere Hand. »Die
Sache funktionierte gut, dann empfahl jemand –
vielleicht sogar jemand aus ihrer Vergangenheit –
größere und bessere
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