Kryptum
machen.«
|460| »Können Sie die Strecke rekonstruieren, die Sie und Sara letzten Montag gegangen sind?« fragte David.
»Natürlich. Laßt mich aber zuerst mit dem Sicherheitsdienst sprechen, damit man uns ein paar Wachmänner zuweist, wenn wir später in mein Büro gehen.«
Nach einigen Minuten kehrte der Architekt zu den beiden jungen Leuten zurück und führte sie zum eigentlichen Hauptportal. Maliaño stellte sich mitten in den Eingang unter den Bogen der Bibliothek und wies mit dem Finger auf den Patio de los Reyes, der am hinteren Ende von der Basilika begrenzt wurde.
»Sara und ich sind entlang der Längsachse gegangen, die das Gebäude in zwei mehr oder minder symmetrische Hälften teilt. Diese Route führt von den öffentlich zugänglichen Räumlichkeiten zum privaten Königspalast. Das heißt, von Westen nach Osten.«
»Also Richtung Madrid«, sagte Rachel.
»Um genau zu sein, Richtung Jerusalem, mit einer winzigen Abweichung von einem halben Grad … Seht ihr? Rechts von uns befindet sich das Kloster, links sind das Priesterseminar und der öffentliche Palast. Und hier in der Mitte, auf der Längsachse, seht ihr über uns die Bibliothek, die wie eine Art Brücke über dem Hauptportal errichtet worden ist; unser Weg führt uns durch den ganzen Patio de los Reyes bis zur Basilika.«
Im Inneren des Lieferwagens hatten der ausgemergelte Mann und Minspert auf dem Plan die Route mitverfolgt, die der Architekt soeben beschrieben hatte. Minspert schaltete das Mikrophon ein, um seinem Agenten genaue Anweisungen zu geben.
»Los, überhol sie! Sie gehen in den zweiten Stock hoch, in die Bibliothek über dem Hauptportal. Auf deinem Plan ist das die Nummer neun … links … Aufgepaßt, vorher gibt es noch eine Sicherheitskontrolle. Du mußt durch eine dieser Türen mit Metalldetektoren gehen und die Kamera auf einen Scanner legen. Aber ruhig Blut, sie werden nichts bemerken … Wenn du sie wiederhast, geh die Treppe rauf.«
|461| Minspert wartete, bis sein Agent in der Bibliothek angekommen war. Im Gegensatz zu den abweisenden grauen Außenfassaden wurde dieser Saal von Farben und Licht beherrscht. Durch die fünf Balkontüren, die auf den Patio de los Reyes hinausgingen, flutete die Abendsonne in den Raum, spiegelte sich in den Bodenplatten aus weißem und grauem Marmor und betonte die Vielfarbigkeit der Deckenfresken. Erleichtert stellte er fest, daß das gesendete Bild im großen und ganzen akzeptabel war, nur wenn der Agent die Kamera abrupt bewegte oder sich die Lichtverhältnisse schlagartig veränderten, wurde es unscharf. Sobald er David, Rachel und den Architekten durch die Tür hereinkommen sah, nahm er wieder Kontakt zu seinem Mann auf.
»Hörst du mich? Du brauchst nichts zu sagen. Wenn du mich verstehst, dreh das Objektiv zum Fenster … Sehr gut. Jetzt stell dich unauffällig in ihre Nähe, damit wir gut hören können, was sie sagen.«
Kurz darauf konnte er durch das Mikrophon der Kamera Maliaños Erklärungen vernehmen.
»… das hier ist das Herzstück des Klosters, es ist eine der größten Renaissancebibliotheken der Welt und die erste, die ein christlicher spanischer König je erbauen ließ. Unsere Monarchie war den Büchern nie sehr zugetan. Hier sind über fünftausend alte Handschriften zu finden, etliche davon auf arabisch, griechisch, hebräisch, chinesisch, persisch, türkisch, armenisch, nahuatl … Ein wahres Babel der Sprachen. Dein Großvater und deine Mutter liebten diesen Ort sehr.«
»Sie vergessen meinen Vater. Er verbrachte wesentlich mehr Zeit hier als die beiden«, warf David ein.
»Sie haben recht. Aber Ihr Vater war nur wegen der Handschriften hier. Sara interessierte sich mehr für die Fresken an der Decke. Vor allem für drei, die sie auch fotografieren ließ, weil sie sie für die Monographie verwenden wollte, an der sie schrieb, ›Von Babel zum Tempel‹. Das erste Gemälde ist hier direkt über uns. Wie ihr sehen könnt, gehen von diesem Fresko alle anderen aus. Es stellt den Ursprung der Erkenntnis dar.«
|462| Das Gemälde, auf das der Architekt deutete, zeigte einen König am Fuß eines hohen Mauerwerks aus schweren Quadersteinen, an dem unzählige Steinmetze beschäftigt waren. Im Hintergrund erhob sich ein rundes Gebäude in den Himmel. Zweifellos stellte es den Turmbau von Babel dar, zumal darunter eine lateinische Inschrift auf die Sprachverwirrung hinwies.
»Hat meine Mutter dir gesagt, warum sie sich für dieses Fresko interessiert?« erkundigte
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