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Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
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Erfahrung bringen sollte, in dessen Besitz sich zudem der zwölfte Keil des Pergaments befand, den er seit dessen Verteilung auf die zwölf jüdischen Familien hütete. Und ohne den die restlichen elf, die ich bei mir trug, wertlos waren. Da ich nur mit größter Umsicht vorgehen durfte, kam ich mir vor, als suchte ich eine Stecknadel im Heuhaufen.
    Meine Reisegefährten erklärten mir, daß es reichlich Herbergen in der Stadt gebe, weit über zweihundert, und sie empfahlen |479| mir eine in der Nähe der großen Moschee. Die Kammern waren auch wirklich ordentlich und blitzblank, man sparte dort weder mit Wasser noch mit dem Besen. Dann machte ich mich mit meinen Goldschmiedewerkzeugen auf und verbrachte den Tag auf verschiedenen Plätzen der Stadt, wobei ich die Augen offen und den Mund fest geschlossen hielt.
    Als ich abends in die Herberge zurückkam, bemerkte ich jedoch, daß einige meiner Habseligkeiten nicht mehr genau an ihrem Platz lagen, so als hätte jemand darin herumgeschnüffelt. Ich begann zu argwöhnen, daß jemand meine Schritte überwachte.
    Um herauszufinden, welches Spiel gespielt wurde, streute ich am nächsten Morgen ein wenig Asche in einer feinen Schicht auf den Boden meiner Kammer. Bei meiner Rückkehr am Abend sah ich hier und da zwar Spuren, doch waren sie so schwach, daß sie nicht von einem Menschen zu stammen schienen. An den beiden folgenden Tagen streute ich erneut Asche aus, und als ich abends zurückkehrte, fand ich wieder die gleichen schwachen Spuren, die wie parallel verlaufende Linien aussahen. Was konnte das nur sein? Wer oder was drang da während meiner Abwesenheit in meine Kammer ein, obwohl ich die Tür immer gut verschloß?
    Schließlich befragte ich den Herbergswirt. Der lachte jedoch nur.
    ›Ah, da steckt der Schlawiner also! Ich habe schon nach ihm gesucht, hatte aber keine Ahnung, wo er sich verkrochen haben konnte …‹
    ›Von welchem Schlawiner redet Ihr?‹
    Da erklärte er mir, daß er eine zahme Schlange habe, die sehr zutraulich sei und wie ein Hund oder eine Hauskatze in seiner Herberge lebe. Mühelos krieche sie unter allen Türen hindurch. Er entschuldigte sich, daß er mich nicht darauf hingewiesen hatte. Ich atmete auf.
    Vielleicht war ich ja zu vorsichtig. Zu meiner Verzweiflung kam ich mit meiner Suche überhaupt nicht voran. Ich sollte viel mehr Fragen stellen. Doch ich traute mich nicht so recht. |480| Ich kannte niemanden in Fes, und die Sephardim brachten mir großes Mißtrauen entgegen, obgleich ich gedacht hatte, es wäre ein Leichtes, von ihnen etwas über Rubén Cansinos zu erfahren, der wie sie Jude war. Die Wochen vergingen. Bis eines Tages etwas völlig Unerwartetes geschah.
    Da aus den Juden nichts herauszubekommen war, hatte ich beschlossen, das Gespräch mit den Moslems zu suchen, selbst auf die Gefahr hin, daß meine Nachforschungen stärker an die Öffentlichkeit drangen als gut war. Von ihnen erfuhr ich, daß die Sephardim sich bedeckt hielten, weil sie mich für einen
kannaz
hielten. So nennen sie diejenigen, die hinter den Schätzen her sind, die sie in ihrem Spanien vergraben hatten, da sie ihre Reichtümer nicht mitnehmen durften, als man sie vertrieben hatte. Allem Anschein nach hatten schon etliche sie zu täuschen versucht. Für die Schurken war es ein einträgliches Geschäft:Sie versprachen, den Fund zu teilen, wenn man ihnen verriet, wo man seine Schätze versteckt hatte, doch wurden sie danach nie mehr gesehen.
    Es beängstigte mich, daß sie mich für einen Schatzsucher hielten, zumal ja etwas Wahres daran war. Das Gerücht würde sich sicher bald verbreiten und den Obrigkeiten zu Ohren kommen. Falls sie mir nicht schon längst auf den Fersen waren und nur noch darauf warteten, daß ich meine Absichten erkennen ließ und sie zu mutmaßlichen Komplizen führte, um uns dann zu verhaften. Denn nach wie vor hatte ich das Gefühl, beschattet zu werden.
    Ich war nun schon über einen Monat in Fes und hatte Rubén Cansinos noch immer nicht ausfindig gemacht. Langsam begann ich mich zu fragen, warum niemand etwas über ihn wissen wollte. Da niemandem auch nur ein Wort über ihn zu entlocken war, rang ich mich zu dem Entschluß durch, mich statt dessen nach seinen Kodizes zu erkundigen, was ich bisher unterlassen hatte. Eigentlich wollte ich nur im äußersten Notfall darauf zurückgreifen, weil es mir sehr gefährlich schien: wenn ich nach Handschriften fragte, die von einem spanischen Kriegsschiff erbeutet worden waren, lief ich

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