Kryptum
der Schlüssel verborgen, den Sie in einer ganz präzisen Abfolge zusammensetzen müssen … Es ist schwer zu erklären … Sie müssen diese Sequenz verinnerlichen, sie wirklich ganz und gar in sich aufnehmen, damit es Ihnen keinen Schaden zufügt, wenn Sie in die Strahlung eintauchen … nur so wird sie durch Sie hindurchgehen …«
Mit jedem Wort fiel ihm das Atmen schwerer, und er verlor immer mehr Blut.
»Schützen Sie sich vor dieser Strahlung … Sonst wird sie Sie vernichten …«
»Was für eine Strahlung?« fragte Rachel, die seinen Kopf hielt und sich nun über ihn beugte, um ihn besser zu verstehen.
Kahrnesky war am Ende seiner Kräfte. Seine Stimme war kaum noch zu hören.
»Sie ist stärker als alles, was wir kennen … Es ist … ein weißes |719| … Loch aus … reiner … Information … und so … stark, daß … sie … jeden Organismus … zerstört …«
Rachel wollte ihm noch eine weitere Frage stellen, aber David nahm sie bei der Hand und half ihr auf.
»Laß gut sein. Er ist tot. Wir müssen selbst herausfinden, was uns dort unten erwartet.«
Raimundo Randa holt tief Luft, nachdem er, über den umgekippten Turm balancierend, den Abgrund überquert hat. Er setzt sich auf die Steine und überdenkt seine Lage. Er weiß, daß die Stunde der Wahrheit gekommen ist. Er wird die große unterirdische Stadt betreten, in der man sich viel leichter verirren als wieder herausfinden kann. Und in der jene zerstörerische Kraft herrscht. Wenn er sie aufstört, wird es um ihn geschehen sein. Von jetzt an wird ihm kein Plan mehr nützen. Er kann nur noch auf jene Bilder des Weges zählen, die er im Haus des Traumes aus seinem Inneren heraufbeschworen hat und die er jetzt mit dem Labyrinth abgleichen muß, bis sie sich perfekt ineinanderfügen wie ein Schlüssel in sein Schloß, damit er es unbeschadet durchschreiten kann.
Er steht auf und geht auf die Grotte zu, die sich vor ihm öffnet. Zur Orientierung dient ihm das Geräusch, das aus den tiefsten Tiefen zu ihm heraufdringt. Er folgt ihm durch einen weiteren Gang in einen großen Saal. Als er nach oben blickt, ist er von seiner enormen Höhe überwältigt. DieWölbung derWände überrascht ihn. Prüfend läßt er seine Hand darübergleiten. Sie sind feucht und glitschig. Er glaubt, sich in der Höhle eines Raubtiers zu befinden. Er hat von einem Drachen reden hören. Aber der dicke Schleim, der aus den Wänden sickert, läßt eher an die klebrige Substanz denken, die manche Spinnen absondern, damit sich die Beute in ihren Netzen verheddert.
Genau in der Mitte des Saals entdeckt er einen hermetisch abgeschlossenen Schacht, der ihn an die Seelengrube im Felsendom erinnert. Von dort dringt jenes schaurige Geräusch herauf, es klingt wie das Klagen von Abertausenden Seelen im Fegefeuer. Randa fühlt es jedoch auch in seinem tiefsten Inneren |720| widerhallen, das all seine Vorfahren, aber auch seine gesamte Nachkommenschaft barg. Er weiß, daß sich diese in ihm schlummernden Kräfte erst beruhigen werden, wenn er das Labyrinth in seinem Inneren mit diesem äußeren, das er durchlaufen muß, zusammenführt. Und erst wenn er im Einklang mit denen ist, die ihn erwarten, wenn er mit ihnen verschmilzt, wird er gefahrlos jenen Ozean der Generationen befahren können, ohne daß seine Fluten über ihm zusammenbrechen, ihn erdrücken und verschlingen.
Jene Empfindungen sind nichts als ein unbeholfener Versuch, das Unbeschreibliche zu beschreiben, das in gewöhnlichen Gedanken ausdrücken zu wollen, was nicht mehr gewöhnlich ist, da sämtliche Gesetzmäßigkeiten aufgehoben sind. Denn dieser Schacht scheint alles zu verbinden, oben mit unten, rechts mit links, das Vorherige mit dem Kommenden und auch die Räume, die sich an den Verzweigungen des Weges vor ihm auftun. Und über allem das Licht, das wie ein wohlwollender Regen von oben herabrieselt, bis es sich mit dem milchigen Glanz vereint, der aus dem unerreichbaren Grund emporquillt.
Vorsichtig beginnt er hinabzusteigen. Bald gelangt er in eine perfekt gebaute unterirdische Kapelle, die in einen langen Gang mündet, der hin und wieder vom Glanz des Hauptschachts erleuchtet wird. Dieser Wechsel von Licht und Schatten übt eine geradezu hypnotische Wirkung auf ihn aus. Er hält die Augen halb geschlossen, bis er wieder auf die Mauer der Seelengrube stößt, von der er sich auf seinem Weg in die Tiefe dann wieder entfernt, nur um nicht viel später erneut zu ihr zurückzukehren. Wieder ist jenes Geräusch zu
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