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Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
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irrigen Weggabelungen vorbeikam.
    Doch dann, plötzlich, standen sie nach einer Wegbiegung in einem in blendendes Licht getauchten Raum, der alles andere rundherum auslöschte. Die Wände waren verschwunden, verschluckt von einem milchigen, beinahe kristallin wirkenden Nebel, der so stark glänzte, daß er ihnen die letzte Orientierung raubte.
    Rachel konnte kaum etwas sehen in jener blendenden Weiße, die eine Spur glasklaren Rauhreifs auf ihrem Körper hinterließ. Sie kämpfte mit all ihrer Kraft darum, sich an dem Anker festzuhalten, den ihr die Nähe ihrer Mutter zu bieten schien und ohne den sie sich in einem Wirbel von Mutmaßungen, Befürchtungen und wirren Erinnerungen verlieren würde. Sie strengte sich an, sich Sara von Kopf bis Fuß vorzustellen, jede ihrer Gesten, jeden Gesichtszug zu evozieren, um so ein Bild von ihr vor sich zu haben, das sie leiten konnte.
    David hingegen wußte bereits nicht mehr, wo er sich befand. Er hatte jedes Gefühl von Raum und Zeit verloren. Ein unerträglicher Schmerz drückte auf sein Trommelfell. Niedergeschlagen fiel er auf die Knie. Erst als ihn ein Lufthauch streifte, blickte er auf und sah Rachel wie eine Schlafwandlerin vorbeigehen, magisch angezogen von dem blendenden Licht, das aus dem Herzen des Labyrinths zu kommen schien. Er war sich sicher, daß sie auf jene strahlendweiße Öffnung zuhielt, die sie vernichten würde.
    Er nahm ein letztes Mal all seine Kräfte zusammen und richtete sich auf, wobei er Rachels Namen schrie. Und, o Wunder, sie antwortete ihm noch. In dem dichten Nebel suchten sie tastend nacheinander und zogen dabei unwillentlich immer engere Kreise um das Zentrum, von dem alles auszugehen und zu dessen grellem Licht alles zurückzuströmen schien, das mit |726| jedem Lidschlag intensiver wurde, als hätte es sie entdeckt. Bis es schließlich aufbrach und sie vollkommen absorbierte. Sie fühlten sich durchdrungen von einer gewaltigen Energie, durchlöchert von Tausenden winzigen Pfeilen. Unmöglich, all die gleichzeitig ablaufenden, unendlichen Prozesse, die nicht eingeschlagenen Wege wahrzunehmen. Nur zwei Wesen konnten ihnen in jenem Schöpfrad voll brodelnden Lebens ihrer Urahnen beistehen. Nur eine Verknüpfung ihrer Schicksale würde sie nicht aus jenem genetischen Roulette werfen. Und dann sahen sie sie, tief unten, im ureigensten Herzen des Labyrinths: Sara Toledano und Pedro Calderón, in gleißendem Licht vereint in einer letzten Umarmung, über Zeit und Tod hinaus.
    Nur jene Kollision von Sehnsüchten hielt sie in diesem weiten, düsteren Bereich. Es war viel mehr als das gegenseitige Umschlingen zweier Körper. Sie fühlten sich von einem jahrhundertealten, von alters her geträumten und vorhergesagten Wogen und Brausen mitgerissen, hingeweht zum Skelett von Raum und Zeit. In eine andere, parallele Dimension, auf die Kehrseite einer von Geistern bevölkerten Welt.
    Sie spürten in sich das Pulsieren ihrer Venen und Adern, das einzigartige Erschaudern des Lebens, das Beben der Membrane und Knorpel, das schließlich in einem zarten, rhythmischen Schlagen konkrete Gestalt annahm wie das Gewebe, das sich in alle Richtungen ausdehnte. Bis sie sich schließlich nicht länger von jenem Kribbeln durchdrungen fühlten. Ihre Glieder schienen ihnen wieder zu gehören, Zelle für Zelle erwachten sie aus der Erstarrung, und die Energie floß zwischen den Erinnerungsfetzen wieder in sie zurück. Und dann, das Aufblitzen des Bewußtseins, die Gewißheit, einen Körper zu bewohnen.
    Für David und Rachel war es, als erwachten sie aus einem Traum. Nur mit Mühe nahmen sie wahr, daß das gleißende Licht angefangen hatte zu flimmern, während das undefinierbare Rauschen um sie herum sich zu einem dumpfen Pfeifen verdichtete, so als würden sie gerade einen riesigen Generator abschalten. Da bebte auf einmal das ganze Labyrinth und begann |727| in sich zusammenzustürzen. Während das strahlende Licht inmitten eines unheilverkündenden Dröhnens versank, wurde alles wieder faßbar. Die zyklopischen Mauern, die krachend einstürzten. Der Boden, der sich öffnete und alles verschlang. Der Fels, der splitterte und auch sie beinahe mitriß.
    Rachel und David hielten sich mit aller ihnen noch verbliebenen Kraft umschlungen, als ein Lichtstrahl von oben auf sie herabfiel. Ein sehr reales Licht, das von gleichsam realen Männern gehalten wurde, die, ausgestattet mit einer Kletterausrüstung, Helmen und Scheinwerfern, beruhigend auf sie einredeten. Sie hielten sie

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