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Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
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Ende der fünfziger Jahre händeringend gute Linguisten suchte. Er ließ seine Beziehungen spielen, worauf sie meinen Vater für ein ganz spezielles Projekt unter Vertrag nahmen. So etwas wie das Manhattan-Projekt der Kryptologie.
Top secret.
Sein offizieller Name lautete
Project CA-110
; allgemein bekannt war es aber unter dem Namen
Babel

    »Sara erwähnt es auch in ihrem Brief, nicht wahr?«
    »Genau. Die Männer, die es entwickeln sollten, hatten einen sehr konkreten Auftrag. In jenen Jahren begann die Regierung sich erstmals Gedanken über die Endlagerung von Atommüll in der Wüste zu machen. Von der NSA wollte man nun Lösungsvorschläge, wie man diese neuen Gefahrenzonen für alle Zeiten kennzeichnen könnte. Die Zerfallszeit der radioaktiven Abfälle beträgt gut zehn Millionen Jahre, und niemand kann wissen, was in dieser für einen Menschen unvorstellbaren Zeitspanne auf der Erde geschehen wird und welche Chiffren dann noch zu verstehen sind. Also begann man zu überlegen, wie man die zukünftigen Bewohner des Planeten über diese lebensbedrohliche Gefahr informieren könnte, und kam dabei zu der Erkenntnis, daß man eine Universalsprache schaffen müßte, die auch noch in Tausenden von Jahren verständlich wäre. Eine wirkliche Herausforderung. Es lag auf der Hand, daß jegliche Art von Lautzeichenschrift dafür nicht in Frage kam. Große Zivilisationen, wie etwa die ägyptische, hatten eine solche Schrift gehabt, die bereits wenige Generationen nach dem Untergang ihres Reiches nicht mehr zu entschlüsseln war.«
    »Und was ist mit Bildern?« fragte Bealfeld.
    »Natürlich haben die Männer des Projektteams auch daran gedacht. Aber die korrekte Deutung von Bildern unterliegt ebenfalls gesellschaftlich-historischen Konventionen. Wenn man die nicht kennt, kann man beispielsweise nicht mit Sicherheit sagen, ob die Personen auf einem Bild kämpfen, jagen, tanzen oder Gott weiß was machen … Dann kam jemand von |89| ihnen auf die Idee, die mit Radioaktivität verseuchten Gebiete mit einer Unmenge an Botschaften in den zur damaligen Zeit bekannten Chiffren und Codes zu versehen, in der Hoffnung, daß einige von ihnen die Zeit überdauerten oder zumindest Ähnlichkeit mit denen aufwiesen, die man in der Zukunft verwenden würde. Doch selbst diese Lösung würde eine gewisse kulturelle Kontinuität erfordern, derer man sich nicht sicher sein konnte … Können Sie sich vorstellen, zu welchem Ergebnis man schließlich kam?«
    »Ich habe keinen blassen Schimmer.«
    »Nun, aus all den Überlegungen folgerte man, daß die Warnung nur die Zeit überdauern könnte, wenn es gelänge, ein
Bewußtsein
für die Gefahr zu schaffen, das über all die Jahrhunderte weitergegeben würde, selbst wenn niemand mehr seinen genauen Ursprung kennen oder die Welt in die Barbarei zurücksinken würde. Man müßte auf Aberglauben und Tabus zurückgreifen, eine Art Mythos schaffen … und schlimmstenfalls eine Art Kaste bilden, bestehend aus Wissenschaftlern, Anthropologen, Linguisten und Psychologen, die im Laufe der Zeit zu so etwas wie Priestern oder Geheimnishütern würden, dazu bestimmt, etwas weiterzugeben, was nicht einmal sie selbst mehr erklären konnten. Mein Vater weigerte sich, so etwas gutzuheißen.«
    »Hatte er denn einen besseren Vorschlag?«
    »Das war genau das Problem. Den hatte er nämlich noch nicht, aber er glaubte, auf der richtigen Fährte zu sein. Er bat um mehr Zeit, und man gewährte sie ihm. Und er bat um Zugang zu den Computern der NSA, was man ihm ebenfalls gewährte. Bis zu dem Tag, an dem er seinen ersten Bericht vorlegen mußte. Ohne irgendeine Erklärung entzog man ihm danach das Projekt und ließ ihn fortan nicht mehr an den Computern arbeiten. Die Rechenzeit einer dieser Kisten war damals noch unwahrscheinlich teuer. Aber mein Vater blieb dran und arbeitete unbeirrt von Hand weiter. Da wurde er von der NSA gefeuert, und James Minspert, der sein Assistent gewesen war, übernahm seinen Posten. Mein Vater war völlig erschöpft |90| von der Arbeit an dem Projekt und wußte nicht mehr weiter. Da schickte ihn Abraham Toledano nach Antigua, wo er in dessen altem Palast neben der Casa de la Estanca ein Zentrum für Sephardische Studien aufbauen sollte. Abraham bezweckte damit aber noch etwas anderes: Er wollte auf diese Weise Pedro von Sara fernhalten. Ihre gegenseitige Zuneigung war ihm ein Dorn im Auge. Dieses Foto hier wurde gemacht, als die Familie Toledano die Pläne für die Umgestaltung des

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