Kryson 01 - Die Schlacht am Rayhin
betrachtete – und ein an den Ärmeln und am Hals mit kunstvollen Borten verziertes Seidenhemd, das ihm seine Mutter genäht hatte, als er von den Bewahrern in das Haus des hohen Vaters geholt worden war.
Er trug das Hemd nicht, weil es ihm zu schade war und er nicht riskieren wollte, dass es kaputtging. Seide aus den gesponnenen Fäden und Kokons eines Nachtpfauenauges und der danach in mühevoller Handarbeit weiterverarbeiteten Stoffe war selten und daher wertvoll. Neben einer handgeschnitzten und liebevoll bemalten Holzfigur seines Vaters, die einen Sonnenreiter auf einem Pferd symbolisierte, war dies das einzige Erinnerungsstück, das er an zu Hause und an seine Eltern hatte. Nur ein weiteres Stück bewahrte er, seit er seine Heimat verlassen hatte, in einem winzig kleinen Holzkästchen auf: Es war die Haarlocke eines Mädchens. Ein wunderhübsches Mädchen aus seinem Dorf, das Renlasol bewundert hatte. Ihre Ausstrahlung und ihr bezauberndes Lächeln. Es war Tallias Haarlocke. Das Mädchen, dessen Gesicht Master Chromlion im Zorn zerschnitten hatte. Oft hatte er das Kästchen hervorgeholt, die Locke betrachtet und sich gefragt, wie es Tallia wohl in den letzten Sonnenwenden, seit er das Dorf verlassen hatte, ergangen und was aus ihr geworden war. Chromlion hatte ihre Eltern getötet und er, Renlasol, war an ihrer Stelle zu den Sonnenreitern gekommen. Es war schwer für ihn, sich vorzustellen, wie sich Tallia alleine durchschlagen musste. Im Dorf hatte sie nicht bleiben können, weil sich ihre Eltern geweigert hatten, das Mädchen den Sonnenreitern zu übergeben. Es war eine Schande.
»Ich hoffe, es geht dir gut und wir sehen uns eines Tages wieder. Ganz bestimmt sehen wir uns wieder«, sagte er leise und packte das Kästchen mit einem wehmütigen Seufzer weg. Er wickelte die Ausrüstungsgegenstände in seine Decke, schnürte alles fest zusammen und band das Paket an eine Holzstange, die er während des Marsches über der Schulter tragen konnte.
Plötzlich nahm Renlasol ein ungewohntes Geräusch hinter sich wahr. Er drehte sich sofort um. Seine Augen wurden groß, als er erkannte, wer ihn überraschenderweise besuchen kam. Kaptan Yilassa hatte die Zeltplane zur Seite geschoben und war, ohne auf eine Einladung zu warten, einfach eingetreten. Sie trug lediglich einen halb geöffneten Kapuzenmantel und stand barfuss im Zelteingang. Unter dem Mantel war sie, bis auf ein weißes Wollhöschen, das ihre Scham bedeckte, nackt.
»Ihr … ihr … aber … was … wie … Ihr seid aufgewacht?«, stammelte Renlasol völlig verdutzt angesichts dieser Überraschung und der weiblichen Reize, die sich seinen Augen völlig unerwartet boten. Blut schoss in seine Wangen und ließ sein Gesicht rot erglühen. Er konnte seine verblüffte Reaktion und seine Gefühle nicht verbergen.
Yilassa lächelte und dennoch war in ihren Augen eine gewisse Traurigkeit zu erkennen, die den Knappen irritierte: »Ich bin hellwach, Renlasol. Sapius’ Todesschlaf und Elischas Serum haben die Vergiftung geheilt und mich vor dem kranken Wahnsinn der Fjoll-Spinne bewahrt. Und dennoch fühle ich mich, als wäre ich nicht lebendig. Es ist, als wäre etwas in mir während der Schlacht gestorben. Ich bin den Schatten weit näher als dem Licht. Ein dunkler Schleier liegt über meinen Sinnen und die Kälte steckt tief in meinem Herzen und lässt meinen Körper frieren. Ich zittere am ganzen Leib.«
Es war nicht zu übersehen, dass Yilassa fror. Eine Gänsehaut überzog ihren Körper und sie zitterte tatsächlich, als hätte sie soeben erst in einem See mit eiskaltem Wasser gebadet.
Wie wahr sie doch spricht. Ich empfinde ähnlich und verstehe sie nur allzu gut. Die Schlacht hat uns alle verändert und einen dunklen Schatten über unsere Gedanken gelegt. Die Kälte kriecht in unsere Glieder und unseren Geist. Sie lässt uns hilflos und ohne Gefühl zurück, gerade so, als wären wir bereits tot«, ging es Renlasol durch den Kopf. Das war gewiss nicht das Gefühl, das Sieger nach einer gewonnenen Schlacht haben sollten.
Nachdem Sapius den Zauber bei den meisten Verwundeten wieder gebannt hatte, war auch Yilassa aus dem todesähnlichen Schlaf erwacht. Die bedrückenden Erlebnisse der vergangenen Tage waren jedoch geblieben. Die vielen Kratzer und Schnittwunden an Yilassas Armen und Beinen waren nicht schwerwiegend gewesen. Es war ihr daher leichtgefallen, das Krankenlager zu verlassen und Renlasol aufzusuchen.
»Du hast gut gekämpft, Renlasol. Wie ein
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