Kryson 02 - Diener des dunklen Hirten.epub
uns so oder so nicht näher bringen oder von der Siedlung fernhalten, wenn er uns denn einen Besuch abstatten wollte. Aber warum sollte er? Das könnte ihm schlecht bekommen. Er wird das Risiko, an Macht zu verlieren oder eine Niederlage einzustecken, scheuen. Die Naiki haben ihn und den weißen Schäfer niemals unterstützt. Wir dienten den Lesvaraq und dem Gleichgewicht, nicht aber den Saijkalrae. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern.«
Metaha legte eine Denkpause ein und ließ ihre blinden Augen über die Ratsmitglieder streifen, bevor sie fortfuhr. Es war, als ob sie jeden aus den milchig überzogenen Augen intensiv musterte.
»Und nun zu dir, Ralijo«, fuhr sie fort, nachdem sie tief Luft geholt hatte. »Dein Vorschlag, nähmen wir ihn an, brächte uns weit weniger Schwierigkeiten. Das ist wohl wahr. Es wäre ein Leichtes, ihn in die Tat umzusetzen. Aber sind wir Naiki inzwischen so weit heruntergekommen, dass wir uns der Herausforderung nicht mehr stellen und uns stets den leichtesten Weg suchen? Ich bin gewiss nicht dafür gewesen, die Klanfrauen in der Siedlung aufzunehmen, und finde noch immer, dass es ein schwerer Fehler wäre. Aber sie deshalb zu töten wäre ein Schandfleck und der Naiki nicht würdig.«
»Was schlägst du also vor, ehrwürdige Metaha?«, fragte Gafilha. »Sie werden uns über kurz oder lang unsere Männer wegnehmen und Kinder mit ihnen zeugen, weil wir keine mehr bekommen können. Ist das dein Vorschlag?«
»Wir lassen sie im Wald zurück«, schlugen Jahirha und Camoha einstimmig vor. Sie waren junge Mitglieder, die erst vor kurzer Zeit in den inneren Rat gerückt waren und zwei vor einer Sonnenwende verstorbene weibliche Ratsmitglieder ersetzt hatten. »Sollen sie sehen, wie sie zurechtkommen. Das ist immer noch besser, als ihr gemeinsames Schicksal den Rachuren oder der Geißel der Schatten zu überlassen.«
»Das käme einem Todesurteil gleich«, entgegnete Kallroijo.
»Sie müssten nicht alleine bleiben«, sagte Metaha. »Immerhin haben wir noch nicht über die Bestrafung von Ikarijo gesprochen. Er hat gegen die strikten Anweisungen des Rates verstoßen, indem er die Frauen zur Siedlung brachte.«
»Das kannst du nicht ernsthaft wollen, Metaha«, rief Baijosto entsetzt, »er hatte gute Gründe für sein Handeln. Wir sollten ihm Gelegenheit geben, sich angemessen zu verteidigen, bevor ihn der Rat in die Verbannung schickt.«
»Wir schicken ihn nicht in die Verbannung«, antwortete Metaha. »Ikarijo bekäme eine Aufgabe. Er wird sich in den Wäldern fernab der Siedlung um das Wohlergehen der jungen Frauen kümmern. Welcher Jäger würde sich dieser Herausforderung nicht freiwillig stellen? Zumindest so lange, bis die Klanfrauen gelernt haben, sich alleine und ohne seinen Schutz zurechtzufinden. Wenn er dies erreicht hat, wird er in die Siedlung zurückkehren dürfen.«
»Eine sehr gute Idee, Metaha«, riefen Gafilha, Camoha und Jahriha beinahe gleichzeitig.
»Mit diesem Vorschlag kann ich leben«, stimmte Kallroijo zu.
»Das ist annehmbar«, nickte auch Falarijon.
»Wenn es denn unbedingt sein muss und ihr zu feige seid, dem Schrecken ein Ende zu bereiten … von mir aus«, rückte Ralijo von seinem radikalen Vorschlag ab.
Taderijmon und Baijosto schwiegen betroffen und ließen traurig die Köpfe hängen. Sie waren von den anderen Ratsmitgliedern überstimmt worden. Dieses Mal hatte sich Metaha deutlich gegen die Brüder durchgesetzt. Sieben gegen zwei Stimmen war ein eindeutiges Ergebnis und ein hartes Urteil für ihren Freund Ikarijo.
Baijosto überbrachte die schlechten Nachrichten. Ikarijo nahm den Beschluss des inneren Rates äußerlich gefasst mit starrer Miene und bleichem Gesicht auf. Doch Baijosto wusste, dass Ikarijo durch die Verbannung schwer getroffen und verletzt worden war. In seinem Inneren wütete ein Sturm der Gefühle. Er nahm seinen Freund tröstend in die Arme. So standen sie eine lange Zeit regungslos und ohne ein Wort miteinander zu wechseln, bis Ikarijo die Umarmung abrupt löste, den Frauen zurief, sie sollten ihm folgen, und sich, ohne sich noch einmal umzudrehen, auf den Weg durch den Faraghad-Wald machte.
Ikarijo hatte noch kein Ziel vor Augen. Er wollte nur weg, weit und schnell weg von der Siedlung der Naiki, die einst sein Zuhause gewesen war.
Baijosto sah ihm mit Tränen in den Augen nach, bis seine Konturen zwischen den Bäumen gänzlich verschwunden waren. Er wusste tief in seinem Inneren, er würde Ikarijo vielleicht nie
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