Kryson 02 - Diener des dunklen Hirten.epub
Das gepeinigte Antlitz des Fremden bewegte ihn tief und stimmte ihn zugleich traurig. Der Mann im Spiegel hatte ohne jeden Zweifel viel durchgemacht und tat ihm aufrichtig leid.
»Aufregende Erscheinung, nicht wahr?«, stellte Sick fest. »Ihr seid kaum wiederzuerkennen. Darf ich Euch meinen jungen Freund vorstellen?«
Madhrab stöhnte, er konnte es ohnehin nicht verhindern. Der Junge sah mindestens genauso verwahrlost aus wie die fremde Erscheinung im Spiegel, die mehr von einem gequälten wilden Tier hatte als von einem Bewahrer.
Mager, blass, krank und verhärmt, dachte der Bewahrer über den Jungen, das fremde Gegenüber im Spiegel war kaum schlechter dran.
»Das ist Madsick, mein leiblicher Sohn«, erklärte Sick. »Ich hatte einst das zweifelhafte Vergnügen, mich im Kerker um eine Gefangene kümmern zu dürfen. Unsere Beziehung wurde nach einigen Behandlungen, sagen wir ... intensiver ... möglicherweise intimer und ich zeugte damals Madsick mit ihr. Leider war seine Mutter zu schwach und starb bei der Geburt, nachdem ich ihr den Jungen aus dem Leib geschnitten hatte. So zog ich den Jungen alleine im Kerker auf.«
»Ihr seid krank«, antwortete Madhrab.
»Hütet Eure Zunge vor dem Jungen, sonst schneide ich sie Euch vor seinen Augen aus Eurem Lästermaul heraus«, ärgerte sich Sick über die Bemerkung Madhrabs.
Der Junge trug eine Hirtenflöte aus Holz bei sich, wie Madhrab im schummrigen Licht der Laterne erkennen konnte.
»Madsick wird Euch auf der Flöte ein Ständchen bringen, während ich mir für Euch etwas Feines ausgedacht habe, ist das nicht schön?«, säuselte Sick. »Applaus für den jungen Mann und Meister der Hirtenflöte aus dem Verlies des hohen Vaters.«
Madsick setzte auf Geheiß seines Vaters die Flöte an die Lippen und begann zu spielen. Madhrab war erstaunt, in welch meisterlicher Art dieser Junge mit der Flöte umging und ihr gar unglaublich sanfte, wohlklingende Töne entlockte.
Sein Spiel ist virtuos, womöglich magisch. Wer hätte das gedacht?, sagte sich Madhrab im Stillen.
»Spiel lauter«, wies Sick seinen Sohn an, »der Bewahrer wird heute zu deiner Musik singen, wie er noch nie zuvor in seinem Leben gesungen hat und niemals wieder singen wird.«
Das melodiöse Flötenspiel des Jungen steigerte sich, wurde lauter und durchdringender.
Vor den Augen des Bewahrers packte Sick einen mit Schnitzereien verzierten hölzernen Kasten und eine Gesichtsmaske mit einem durch feine Metallstäbe vergitterten Scharnier aus. An der Innenseite der Maske und an den Gitterstäben klebten längst getrocknete und verkrustete Blutflecken. Der Foltermeister sah den Bewahrer ernsten Blickes an.
»Wisst Ihr, was das ist?«, fragte Sick.
Madhrab schüttelte den Kopf und schluckte das bisschen Spucke, das ihm noch geblieben war, schwer hinunter. Er hatte eine vage Ahnung, was ihm bevorstand.
»Das ist eine Sulsak. Sie wird auch Maske der Pein genannt«, fuhr Sick ungerührt fort, »sie wird während der Befragung über das Gesicht des Probanden gezogen und mit den niedlichen Krabbeltieren befüllt, die ich in diesem Kasten aufbewahre.«
Er hielt Madhrab den Kasten vors Gesicht. Ein Rascheln und Kratzen vieler kleiner und krallenbewehrter Füße war darin zu hören.
Was hat er vor?, fragte sich Madhrab. Bei der Vorstellung, was wohl in der Kiste sein mochte und ihm bevorstand, drehte sich ihm der Magen um.
»Es wird eine Weile dauern, bis die stets hungrigen Krabbeltiere dem Maskenträger das Gesicht mit ihren Scheren weggefressen haben und sich dann – noch längst nicht satt – durch Mund, Nasenlöcher und Augenhöhlen auf den Weg ins Gehirn machen«, lachte Sick. »Vielleicht habt Ihr Glück und sie kriechen schneller hinein. Beim letzten Mal haben sie ihrem Opfer vorher die Lippen abgenagt. Das sah wirklich komisch aus.«
Madhrab beschlich das Gefühl, dass dies aller Wahrscheinlichkeit nach die letzte Begegnung mit Sick sein sollte. Was auch immer sich in der Kiste befand, es sah ganz danach aus, als ob es ihn unter fürchterlichen Qualen töten würde. Die Tatsache seines bevorstehenden Todes beunruhigte ihn einerseits, andererseits würde die Folter nun endlich eine Ende haben.
»Wie ist Euer Verhältnis zu der Orna Elischa, die Euch nach Hause begleitete?«, fragte Sick überraschend. »Habt Ihr mit ihr geschlafen?«
Madhrab zuckte bei der Nennung ihres Namens und der dreisten Behauptung unweigerlich zusammen. Er fragte sich, wie der Foltermeister darauf kam. Niemand außer
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