Kryson 02 - Diener des dunklen Hirten.epub
sah ihr in die Augen. Elischa wollte die Lider schließen, um der tödlichen Gefahr zu entgehen. An die Haut gefroren ließen sie sich nicht bewegen. Auf der anderen Seite hauchte ihr die zweite Eisprinzessin einen Kuss auf die Wange, der sie leicht schmerzte. Taubheit breitete sich von der geküssten Stelle aus und bahnte sich den Weg durch ihren Körper. Ihre Sinne schwanden. Sie fühlte sich, als sei sie todmüde und gleite jeden Moment ermattet in den Schlaf. Vielleicht war die Begegnung im Schneesturm nicht wirklich. Ein Traum, aus dem es womöglich kein Erwachen gab.
Wir erfrieren, dachte Elischa , der kalte Tod wird uns im Schlaf ereilen.
Doch plötzlich spürte die Orna eine Kraft in ihrem Inneren, die sie zuvor nicht wahrgenommen hatte. Der Gedanke an das nahende Ende hatte eine Hitze in ihr geweckt, die sich sofort gegen die eisige Kälte wandte und diese Stück für Stück aus ihrem Körper verdrängte. Die Müdigkeit schwand mit der sich wohlig ausbreitenden Wärme. Elischa war von einem Augenblick zum nächsten hellwach. Die Eisprinzessinnen zuckten überrascht zurück, als hätten sie sich die Finger an einem Feuer verbrannt. Ihre ängstlich untereinander ausgetauschten Blicke verrieten Unsicherheit. Aufmerksam geworden durch das Verhalten ihrer Schwestern, ließ die Eisprinzessin von Madhrab ab und näherte sich nun ebenfalls dem Schlitten. Ihre Neugier war groß. Es gab keinen Zweifel daran, dass sie wissen wollte, welches Geschöpf den eisigen Verlockungen ihrer beiden Schwestern widerstehen konnte. Die Schwestern tuschelten aufgeregt. Elischa war sich nicht sicher, ob sie sich stritten. Den Lauten nach unterhielten sich die Eisprinzessinnen in der alten Sprache der Altvorderen. Aber es musste sich um einen seltenen Dialekt handeln, von dem die Orna bislang noch nichts gehört hatte. Gleichgültig was sie sagten, sie sprachen über sie.
Als sie sich beruhigt hatten, trat die erste Eisprinzessin dicht an Elischa heran und sagte mit glockenheller Stimme und in klar verständlichen Worten zu der Orna: »Wir verneigen unser Haupt vor dem Blut, der Magie der Ahnen und den Lesvaraq. Ihr seid mächtig. Mächtiger, als Ihr selbst glaubt. Verzeiht, dass meine Schwestern Euch in ihrem Hunger nach Leben für eine gewöhnliche Sterbliche hielten und nicht als Mutter des Lesvaraq erkannten.«
Was hatte die Eisprinzessin vor? Trieb sie ein Spiel mit ihren Opfern oder waren ihre Worte aufrichtig gemeint?
»In den Adern Eures Gefährten fließt das Blut der Altvorderen ebenso wie in den Euren. Er ist der Vater des Lesvaraq und mit einer Gabe der Kojos gesegnet. Wir werden ihn verschonen. Habt keine Furcht«, fuhr die Eisprinzessin fort, »meine Schwestern und ich werden Euch kein Leid zufügen, obschon Ihr uns gelegen kamt, um unseren Hunger nach Leben zu stillen. Doch zu wichtig für uns ist das Leben, das Ihr in Euch tragt.«
»Wer seid Ihr?«, fragte Elischa mit dünner Stimme.
»Verzeiht unsere ungestüme Unhöflichkeit«, lächelte die Eisprinzessin betreten, »wir vergaßen uns vorzustellen. Eisprinzessinnen des Choquai sind wir. Töchter des Königs in der Höhe. Unser Zuhause liegt in den höchsten Gipfeln der Berge des Riesengebirges, die nie ein Sterblicher erklimmen wird. Wir sind Erben der Felsgeborenen. Kinder der Burnter und ihrer Versuche, die Geister des Gesteins zu beherrschen. Die letzten unserer Art.«
»Ihr seid Altvordere?«, staunte Elischa.
»Genau wie Ihr«, bestätigte die Eisprinzessin, »und doch sind wir anders. Wir sind mehr Geist denn Fleisch und Blut. Die Felsgeborenen sind Altvordere. Wir sind ihre Schöpfung.«
»Leben die Burnter noch?«
»Wir existieren, solange die Felsgeborenen leben. So lautet die Regel. Wir wissen nicht, wo sich das magische Volk versteckt hält. Aber sie sind irgendwo in den Weiten von Ell. Vielleicht in den Bergen. Wer weiß? Möglicherweise in den Grenzlanden.«
»Was habt Ihr mit Madhrab angestellt?«, wollte Elischa wissen.
»Oh, keine Sorge«, sagte die Eisprinzessin, »ich habe ihn nur verzaubert. Er zeigte sich erstaunlich stark und widerstand meinen Verlockungen. Kaum jemand vermag das sonst. Ich habe einen Bann der Erstarrung auf ihn gelegt, weil ich ihm die Lebenskraft später nehmen wollte. Aber ich erkannte das Blut, das in seinen Adern fließt. Madhrab wird aufwachen, wenn Ihr ihm etwas von Eurer Wärme abgebt. Es ist lange her, seit ich jemandem wie ihm begegnete. Und doch erinnere ich mich, als wäre es gestern gewesen, denn er war
Weitere Kostenlose Bücher