Kryson 02 - Diener des dunklen Hirten.epub
Lippen und fegte diese einfach ins Nirgendwo. Sie konnte ihre eigene Stimme nicht verstehen und gab den Versuch wieder auf. Der Bewahrer würde schon wissen, was zu tun war. Madhrab stand keuchend und wie angewurzelt vor dem Schlitten.
Elischa fragte sich, was ihn zu dem Halt bewogen hatte. War er so erschöpft und konnte nicht mehr weitergehen? Hatte er eine plötzliche Gefahr entdeckt? Waren ihnen die Verfolger auf den Fersen? Als sie die Augen erneut zusammenkniff, um besser sehen zu können, erkannte sie die schemenhaften Umrisse einer Gestalt, die sich langsam auf Madhrab zubewegte. Durch das Schneetreiben verschwammen die Konturen des Wesens. Die in der Farbe des Schnees gehaltene Kleidung, die weißen Haare und das Glitzern der Eiskristalle auf dem Gewand erschwerten ein eindeutiges Erkennen zusätzlich. Dennoch wurde Elischa den Eindruck nicht los, dass sich die Gestalt sicher und zielstrebig bewegte. Wer oder was auch immer mitten im heftigsten Sturm auf sie zukam, trotzte den Naturgewalten des Gebirgswinters, als wären sie nichts weiter als ein harmloses Spiel. Ein Gefühl der Furcht stieg in Elischa auf.
Das Wesen hatte etwas Unheimliches an sich, das Elischa weder in Bilder noch in Worte zu fassen vermochte. Eine Aura, die sich der Orna ungewollt aufdrängte und nicht wieder abschütteln ließ. Unangenehm und bedrohlich. Ein leiser Hauch von Macht, der aus dem Schneegestöber um sie herum entstanden war, deutlicher wurde, je näher er kam, und langsam, aber sicher eine feste Form annahm. Sie fühlte sich, als liefen tausend Spinnen über ihre Haut, und spürte die Gefahr, die von dieser ihnen bevorstehenden Begegnung ausging. Es war, als stünde die Zeit still. Elischa war kalt. Eine Kälte, die allerdings nicht von den widrigen Umständen des Schneesturms verursacht wurde, sondern schleichend von dem fremden Wesen ausging und sich allmählich ausbreitete.
Durch ihre Gedanken huschte ein Bild. Ein Gesicht. Das Gesicht einer Frau. Nie zuvor hatte die Orna eine solch strahlende Schönheit gesehen. Ihre Haut war blass und makellos, genauso wie das von einem eisblauen Band zurückgehaltene Haar, das von zahlreichen funkelnden Kristallen überzogen war. Es fiel ihr schwer, den Blick von diesem übernatürlichen Wesen abzuwenden. Die ungeheure Anziehungskraft war allgegenwärtig. Trotz alles Liebreizes wirkten die eisfarbenen Augen kalt und tot.
Plötzlich war der Sturm verschwunden. Doch nicht nur dieses Ereignis ängstigte die werdende Mutter. Dunkelheit umgab sie und verschluckte jeden Lichtschein und jedes Geräusch in ihrer unmittelbaren Umgebung.
Eine Eisprinzessin!, kam Elischa die schreckliche Erkenntnis.
So schön dieses ätherische Wesen aus den unerreichbaren Höhen des Riesengebirges war, so tödlich war es zugleich. Sie musste Madhrab warnen, womöglich war er dem kalten Blick der Eisprinzessin bereits verfallen, der ein lebendes Wesen in Verzückung versetzen konnte, um es danach der Lebenskraft zu berauben und sein Fleisch und Blut am Ende zu einem mit Eis überzogenen Stein zu verwandeln.
Elischas heisere Rufe blieben ungehört. Mit klammen Fingern versuchte sie erfolglos die Seile zu lösen, mit denen sie auf dem Schlitten angebunden war.
Madhrab stand ungerührt vor der Eisprinzessin, als wäre er am schneebedeckten Fels unter seinen Füßen festgefroren. Die Eisprinzessin strich ihm behutsam über die Wange, während sie leise und betörend in fremd klingenden Worten sprach. Er bewegte sich nicht und ließ die Berührung zu. Elischa hielt die Luft an. Der Bann der Eisprinzessin umgab sie und Madhrab. Auf ein Entrinnen durften sie nicht hoffen. Es war zu spät und Madhrab schien von dem Zauber erstarrt.
Aus der Dunkelheit traten weitere Eisprinzessinnen, die in ihrer Erscheinung voneinander nicht zu unterscheiden waren. Dieselben eisblauen Augen, schneeweißes, glitzerndes Haar und bläulich schimmernde Lippen. Es sah aus, als schwebten sie, statt zu gehen. Ihre Bewegungen waren fließend, langsam und anmutig. Sie kamen näher und näher. Mit jedem ihrer Schritte, wurde es Elischa spürbar kälter. Neugierig betrachteten sie den Schlitten und die Orna. Ihre Berührung war sanft, geradezu liebevoll, so als wollten sie ihr Opfer trösten und ihm die Furcht nehmen. Elischa wollte schreien, doch ihre Stimme versagte. Das Blut drohte in ihren Adern zu gefrieren, als die Finger einer Eisprinzessin ihr über Stirn, Nase und Wange glitten. Behutsam hob die Eisprinzessin Elischas Kinn an und
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