Kryson 02 - Diener des dunklen Hirten.epub
könnten sie innerhalb eines Tages die Schutzhütte des Choquai erreichen. Madhrab hegte die Hoffnung, dass sie den beschwerlichen Weg noch vor Eintreffen des Sturms schafften. Elischa war jedoch nicht mehr in der Lage, auf dem Rücken ihres Pferdes zu sitzen, weshalb Madhrab in Kalayan einen Schlitten und Felle auslieh. Er selbst wollte den Schlitten über den Pass ziehen. Für die Pferde fanden sie für die Dauer des Winters Plätze in den Stallungen eines Bergbauern ein wenig außerhalb des Dorfes. Unmöglich, die Tiere zu dieser Sonnenwendenzeit über den Pass mitzunehmen, wenn sie nicht riskieren wollten, sich allesamt den Hals zu brechen.
Der Aufstieg zur gut vierzehntausend Fuß hoch gelegenen Passhütte gestaltete sich schwieriger, als Madhrab angenommen hatte. Er kannte den Weg zwar aus seiner Kindheit, war er ihn doch schon viele Male mit seinem Vater gegangen. Obwohl seit dieser Zeit zahlreiche Winter über die Klanlande gezogen waren, konnte er sich noch gut daran erinnern. Aber der Anstieg war steil und der Weg durch den tiefen Schnee und die Verwehungen kaum als solcher zu erkennen. Madhrab orientierte sich an den sie umgebenden Bergen, dem Stand der Sonnen, markanten Wegzeichen und vereinzelten Bäumen, die es allen widrigen Bedingungen zum Trotz bis in diese Höhen des Choquai geschafft hatten und nunmehr anklagend ihre krummen Astfinger aus dem Schnee in die Höhe streckten.
Zur Sicherheit hatten sie Elischa auf dem Schlitten angebunden und mit Fellen gegen die Kälte eingepackt. Mal zog Madhrab den Schlitten, mal schob er ihn vor sich her. Mühsam schleppte er sich und Elischa den Berg hinauf, versank immer wieder teils bis zur Hüfte im Schnee und musste sich unter Anstrengung wieder befreien. An manchen Stellen war der Schnee hart gefroren und mit Eis überzogen. Sobald Madhrab ausrutschte, drohte ihm der Schlitten zu entgleiten. Selten hatte Elischa den Bewahrer auf solch derbe Art fluchen hören wie in jenem Augenblick, als er plötzlich den Halt verlor und die Katastrophe nur verhindern konnte, indem er sich mit dem Körper vor den wegrutschenden, schnell an Fahrt aufnehmenden Schlitten warf und sich mit seinem ganzen Gewicht dagegenstemmte.
Der Schneesturm erreichte sie früher als befürchtet. Wie aus dem Nichts hatte sich eine wirbelnde weiße Wand vor ihnen aufgebaut. Die Schneeflocken tanzten einen wilden, womöglich tödlichen Tanz. An Umkehr war nicht mehr zu denken. Sie mussten mitten hindurch. Der Wind zerrte an ihrer Kleidung, tobte und verursachte einen tosenden Lärm, der jedes andere Geräusch übertönte. Durch die Wucht des Sturms fand der Schnee durch jede noch so kleine Ritze seinen Weg in die Kleidung. In Nase, Mund und Ohren geweht raubte er ihnen den Atem. Schneeflocken bohrten sich schmerzhaft wie Nadelstiche ins Gesicht. Im Nu waren sie mit Schnee überzogen. Auf frei liegenden Hautstellen bildeten sich Eiskrusten, die Erfrierungen hervorriefen.
Elischa hatte das Gefühl, als sei die Temperatur seit Einsetzen des Sturms deutlich gefallen. Die Augen im Wind offen zu halten, war ihr nicht möglich. Der gelegentliche Versuch eines Blinzelns durch zusammengekniffene Sehschlitze gewährte ihr einen kurzen Blick auf den Rücken des Bewahrers, der sich offenbar nicht beirren ließ, eisern und unermüdlich den Schlitten Stück für Stück den Berg hinaufzog.
Madhrab hatte sich zum Schutz mittlerweile ein Tuch vor das Gesicht gebunden. Sein Atem ging schwer. Mit den Widrigkeiten der Witterung und des Choquai kämpfend befand er sich am Rande der Erschöpfung. Doch er gab nicht auf, schleppte sich und die Last weiter. Zu Elischas Entsetzen bewegte sich der Boden vor ihren Augen. Sie dachte, sie würden mit den Schneemassen weggetrieben und mitsamt dem Schlitten auf einen Abhang zuschwimmen, womöglich über einen Felsen fallen und in die Tiefe stürzen. Ihr Verstand sagte ihr, dass dies nur eine Sinnestäuschung sein konnte, die der Schneesturm hervorgerufen hatte, und Madhrab in Wahrheit keinen Zoll vom Weg abgekommen war. Aber es fiel ihr schwer, daran zu glauben. Wie sollte sich der Bewahrer bei diesen Sichtverhältnissen orientieren, außer sich blind voranzutasten, sich auf das Glück zu verlassen und auf das Ende des Sturms zu hoffen?
Als Madhrab plötzlich stehen blieb und sich aufrichtete, versuchte Elischa ihm zuzurufen, ob es nicht besser sei, sich im Schnee einzugraben und zu warten, bis sich der Sturm wieder gelegt hätte. Aber der Wind riss ihr die Laute von den
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