Kryson 02 - Diener des dunklen Hirten.epub
spürte nur, dass etwas nicht stimmte. Ihm war unheimlich zumute.
Da wurde die Tür hinter ihm aufgerissen. Unglücklicherweise hatte er sich gerade dagegengelehnt und fiel nun mit dem Oberkörper zurück und auf den Hinterkopf. Verwirrt rieb er sich mit der Hand die schmerzende Stelle und blickte die über ihm stehende Metaha aus großen, staunenden Augen an. Metaha wirkte völlig aufgelöst und war außer sich. Belrod konnte ihre Angst spüren, sprang mit einem Satz auf die Beine und sah sich nervös um.
»Lauf, Belrod«, schrie Metaha mit krächzender Stimme und beinahe hysterisch. »Lauf, als ginge es um dein Leben. Taderijmon ist in großer Gefahr. Folge deinem Instinkt, dann wirst du ihn finden. Sieh dich nicht um und raste nicht, ehe du ihn nicht gefunden hast. Hilf ihm. Ich kann hier nicht weggehen. Sobald ich es vermag, komme ich nach.«
»Tadi?«, fragte Belrod.
»Ja, Belrod. Spute dich, ehe es zu spät ist«, gab ihm Metaha mit auf den Weg.
Der Riese hatte verstanden und setzte sich mit langen, schweren Schritten in Bewegung. Unter ihm bebten und ächzten die Bretter der Plattform. Das Herz pochte ihm bis zum Hals. Er liebte die beiden Brüder Taderijmon und Baijosto. Mehr als das eigene Leben. Sie waren seine Familie und er würde für sie sterben, wenn es sein musste. Ohne nachzudenken, sprang Belrod mit weit ausgebreiteten Armen über die Brüstung und bekam den am nächsten stehenden Baumstamm zu fassen. Durch die Wucht des Aufpralls des schwergewichtigen Körpers bog sich der Baum gefährlich nach hinten und geriet ins Schwanken. Doch Belrod wartete nicht, bis der Baum wieder stillstand. Das Klettern ging schneller als die langsame Fahrt in den Transportkörben der Siedlung, obwohl Belrods Methode eher einem Rutschen entsprach. Er riss während des Abstiegs Rinde und einige Äste mit sich und schürfte sich Hände und Oberkörper blutig. Doch die Schürfwunden nahm er nicht wahr. Belrod dachte nur an die Worte Metahas, »Taderijmon ist in großer Gefahr«, die ihm einen gewaltigen Schrecken eingejagt hatten, ihn zu Höchstleistungen antrieben und das Schmerzempfinden unterdrückten.
Als er halbwegs unbeschadet auf dem mit Blättern bedeckten, weichen Waldboden angekommen war, begannen sich seine Beine wie von selbst zu bewegen. Der Maiko-Naiki lief um sein Leben und das seines Bruders. Trotz seiner Größe und der enormen Körpermasse war er schnell. Unglaublich schnell. Kleine Hindernisse auf dem Weg mitten durch den Wald ignorierte der Riese. Er walzte sie einfach nieder, schlug sich mit Gewalt durchs Dickicht, während ihm Zweige übers Gesicht peitschten und dabei Kratzer und rote Striemen hinterließen. »Folge deinem Instinkt«, hatte Metaha gesagt.
Es gab eine besondere Fähigkeit, die nur den Maiko-Naiki zu eigen war und Telaawa genannt wurde. Befanden sich Angehörige des Naiki-Stammes in Gefahr, konnten die Maiko-Naiki sie mithilfe ihres Telaawa selbst über weite Entfernungen aufspüren. Das war eine durchaus nützliche und wertvolle Eigenschaft, mit der Belrod erst vor einigen Monden Baijosto vor den Angriffen der Baumwölfe gerettet hatte. Und auch jetzt sah Belrod, während er lief, den Naikijäger ständig vor seinem inneren Auge, das ihn geradewegs durch den Wald führte. Er musste nur diesem Bild folgen, dann konnte er das Ziel nicht verfehlen. In welcher Gefahr sich Taderijmon auch befinden mochte, Belrod würde sich ihr stellen.
*
Im Eispalast von Eisbergen herrschte eifrige Betriebsamkeit. Die Dienerschaft des Fürstenhauses Alchovi eilte und schlitterte durch die Palastflure, wie sie es selten zuvor getan hatte. Obwohl sie wie jeden Vormittag aufs Neue den Boden des Palastes aufbereitet und auf Hochglanz poliert hatten, scherten sie sich dieses Mal nicht darum, ob ihr mühseliges Tageswerk durch ihre eigenen Schritte Schaden nahm. Es gab Wichtigeres zu tun – ausnahmsweise. Sie schleppten Eimer mit heißem Wasser und Leinentücher vor die Gemächer der Fürstin.
In Windeseile hatte sich das Gerücht zunächst im Palast und dann über ganz Eisbergen verbreitet. Die Fürstin erwartete ein Kind. Die Dienerschaft des Eispalastes erzählte sich, Alvara liege in den Wehen und werde das Kind in wenigen Horas gebären. Das war eine höchst freudige Überraschung, hatte es doch keinerlei Vorankündigungen aus dem Palast gegeben. Je mehr Einwohner davon erfuhren und je weitere Kreise das Gerücht zog, desto unumstößlicher wurde der Inhalt dieser Nachricht, bis er schließlich
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