Kryson 02 - Diener des dunklen Hirten.epub
ganz und gar als Wahrheit galt. Wer es wagte, das Gerücht tatsächlich anzuzweifeln, wurde von den fanatischen Anhängern des Fürstenhauses Alchovi ausgelacht oder schief angesehen. Niemand fragte sich, wie dieses freudige Ereignis plötzlich möglich sei, nachdem alle bisherigen Versuche fehlgeschlagen waren. Selbst die Frage, wie es Alvara gelungen sein mochte, ihre Schwangerschaft bis zum Tag der Niederkunft vor den Augen Neugieriger geheim zu halten, wurde nicht offen gestellt. Nicht einmal ihre Zofe, die sie oft ins Vertrauen gezogen hatte, hatte vom Zustand der Fürstin gewusst. Aber das war eine Nebensächlichkeit.
Der Tag der Geburt eines Erben des Fürstenhauses war ein Freudentag für die Alchovi und diejenigen, die der Familie des Fürsten wohlgesinnt waren. Wie sehr hatten sie sich all die Sonnenwenden ein Kind gewünscht, das eines Tages das Fürstentum regieren und den Sitz des Fürsten im Eispalast übernehmen sollte. Ein würdiger Nachfolger, der die Tradition der Fürstenfamilie fortsetzte und das Erbe eines Tages, sobald er alt genug wäre, im Sinne seines hoch angesehenen Vaters antrat. Vielleicht würde das Kind eines Tages sogar die Regentschaft über die Klanlande übernehmen. Das entsprach dem Ansinnen vieler Klan, die sich einen starken Regenten wünschten, der sein Leben für sie gab und sich für ihre Belange und Sicherheit voll und ganz einsetzte. Die Eisbergener waren sich einig: Es war längst Zeit für einen Wechsel. Die Familie Haluk Sei Tans stellte den Regenten schon zu lange.
Niemand ahnte jedoch, dass nicht etwa die Fürstin Alvara ein Kind nach Kryson bringen würde, sondern Elischa, eine heilige Orna, die erst vor wenigen Tagen in Begleitung ihres Bewahrers Lordmaster Madhrab im Eispalast eingetroffen war. In Eisbergen und im Palast wussten lediglich Elischa, die Fürstin, Corusal und Madhrab von der unmittelbar bevorstehenden Geburt. Der Geburt eines Lesvaraq.
Sie waren sich während längerer Gespräche einig geworden, dass es das Beste für das Kind sei, seine wahre Herkunft nach der Geburt zu verleugen und es als Kind des Fürsten auszugeben. Dem Neugeborenen würde es gewiss an nichts mangeln. Der Fürst und Alvara würden es notfalls mit ihrem Leben beschützen. Eisbergen mit dem Eispalast der Alchovi war für Elischa und Madhrab der sicherste Ort, an den sie das Kind hatten bringen können. Hier würde es unter der Obhut der Alchovi aufwachsen, die sich, ohne zu zögern, bereit erklärt hatten, das Kind als ihr eigenes anzunehmen. Mit allen damit verbundenen Konsequenzen, die sogar eine Erbfolge einschlossen. Sie sahen die Ankunft der hochschwangeren Orna als großes Glück an. Ein Wink des Schicksals, der ihnen den lang gehegten Wunsch nach einem Kind auf außergewöhnliche Weise endlich zu erfüllen vermochte.
Alvara ließ niemanden in die geheime Kammer ihrer Gemächer, in der Elischa auf einem mit Fellen ausgekleideten, weichen Lager gebettet war und seit einigen Horas in den Wehen lag. Weder Corusal noch Madhrab durften der Geburt beiwohnen. Sie hatte beide Männer vehement hinausgejagt, als sich bei Elischa die ersten Wehen angekündigt hatten.
»Das ist Frauensache und nichts für euch«, hatte die Fürstin mit einem Flunkern in den Augen zu ihnen gesagt. »Geht hinaus und macht euch nützlich. Achtet darauf, dass niemand die Kammer betritt. Ich rufe euch, sobald die Geburt überstanden ist.«
Corusal kannte Alvara nur zu gut, sie würde in dieser Angelegenheit keine Widerrede dulden, und hatte Madhrab deshalb sogleich am Arm mit sich aus der Kammer gezogen, der sich anfangs zwar wehrte und Elischa nicht alleine lassen wollte, am Ende aber dem Willen der Fürstin nachgeben musste.
Madhrab sorgte sich, da Elischa ganz offensichtlich große Schmerzen litt. Er fühlte sich hilflos und schuldig, weil er ihr den Schmerz nicht nehmen konnte. Zwar zeigte sich Elischa tapfer, was es für ihn aber nicht leichter machte. Das schlechte Gewissen plagte den Bewahrer, obwohl Alvara den Männern zur Beruhigung gesagt hatte, dass alles in bester Ordnung sei und sie sich keine Sorgen zu machen brauchten.
»Was habt Ihr vor, wenn der Frühling kommt und der Choquai-Pass wieder begehbar sein wird?«, fragte Corusal.
Madhrab dachte eine Weile nach, ohne den Fürsten anzusehen.
»Elischa und das Kind werden bei Euch und Alvara in Sicherheit sein, nicht wahr? Kann ich mich darauf verlassen?«, unterbrach der Lordmaster sein Schweigen.
»Natürlich könnt Ihr das, mein Freund.
Weitere Kostenlose Bücher