Kryson 02 - Diener des dunklen Hirten.epub
Kopf.
Madhrab stieg ab und führte Najak zu einer Tränke vor dem Haus, bevor er sich vor dem Grab niederkniete und den Kopf in Trauer senkte. »Hier also haben sie Euch zur letzten Ruhe gebettet, mein Freund«, murmelte er mit erstickter Stimme. »Ihr seid zu Hause bei Eurer Frau und den Kindern, wie Ihr es Euch gewünscht habt. Wie sehr brauchte ich jetzt in diesen schweren Zeiten einen treuen Freund wie Euch an meiner Seite. Eure Freundschaft, das Vertrauen, Euren Rat, eine starke Hand und Eure unvergleichliche Treue werden mir so sehr fehlen …«
Die Worte aus seinem Mund brachen ab. Madhrab konnte nicht weitersprechen. Die Gefühle überwältigten ihn. Er unterdrückte den Drang, sich gehen zu lassen, sprach stattdessen still ein Gebet zu den Kojos und nahm auf diese Weise zum letzten Mal Abschied von einem geliebten Gefährten.
Aus dem Inneren des Hauses vernahm der Lordmaster Stimmen. Ohne jeden Zweifel stammten sie von einer größeren Anzahl spielender und lärmender Kinder. Dazwischen rief eine energische Frauenstimme die Kleinen immer wieder zur Ordnung. Der Bewahrer räusperte sich, zögerte noch einen Augenblick und klopfte schließlich vorsichtig an die Tür. Rasch näherten sich von innen Schritte. Die Tür öffnete sich knarrend einen Spaltbreit. Die Gestalt einer Frau in den besten Sonnenwenden erschien im Türspalt.
Tadeira hatte ein rundes Gesicht mit außerordentlich großen und tiefblauen Augen. Diese unglaublichen Augen, in denen ein Mann sich sofort verlieren konnte, verliehen ihr einen strahlenden Ausdruck. Rosige Wangen und ein kräftiger, aber schlanker Körperbau wiesen auf eine gesunde und robuste Natur hin.
Sie trug ihr hellblondes Haar offen und lang. Lange Beine, ein breites Becken und auffallende Rundungen deuteten ihre Fruchtbarkeit an. Madhrab verstand nur zu gut, was Gwantharab an ihr gefunden hatte. Sie war eine wunderbare, natürliche und sehr starke Frau, die es zu bewundern und festzuhalten galt. Gwantharab hatte großes Glück, sie seine Frau nennen zu dürfen.
Offenbar hatte Tadeira in den letzten Tagen nur wenig geschlafen, denn ihr Ausdruck wirkte trotz der strahlenden Erscheinung müde und traurig. Der Lordmaster meinte erkennen zu können, sie hätte kurz zuvor Tränen vergossen, die auf ihren Wangen getrocknet waren.
Die Köpfe der Kinder lugten neugierig hinter dem von der Arbeit zerschlissenen Rock ihrer Mutter hervor. Erst eines, dann zwei, bis es schließlich sieben an der Zahl waren.
Tadeira hatte Madhrab sofort erkannt. Ihre Gefühle schwankten undeutlich zwischen Freude, Kummer und Zorn über das Wiedersehen mit dem einstigen Herrn ihres gefallenen Mannes. Ihr Gesichtsausdruck wechselte von einer Sardas zur nächsten von einem frohen Lachen zu blankem Entsetzen. Wie sollte sie sich entscheiden?
Gwantharab hatte den großen Helden der Klanlande verehrt, mehr als alles andere und weit mehr, als sie sich dies als Frau eines Kaptan gewünscht hatte. So manche Zeit ihrer seltenen gemeinsamen Tage hatte sie angenommen, er liebe Madhrab wohl mehr als sie und die Kinder. Und nun war ihr pflichtbewusster Gatte am Ende sogar für den Lordmaster in den Tod gegangen. Loyalität bis in die Schatten. Ein solch tragisches Schicksal hatte sie entgegen all ihrer freudigen, hoffnungsvollen Wünsche befürchtet, seit sie den ehelichen Treueschwur mit Gwantharab eingegangen war. Doch natürlich stimmte das nicht und tief in ihrem Inneren wusste sie es auch besser. Gwantharab war ein treu sorgender Mann und Vater gewesen, wenn ihn die Pflichten nicht an die Sonnenreiter gebunden hatten. Die Familie war ihm stets das Wichtigste gewesen. Ihr Wohlergehen hatte ihm zuallererst am Herzen gelegen.
Und so war der Lordmaster auch ein sehr guter Freund der Familie. Durfte sie Madhrab wirklich die Schuld daran geben, dass Gwantharab in der Schlacht gefallen war? Schließlich hatte sich der Lordmaster die Aufgabe nicht freiwillig ausgesucht. Die Klanlande waren durch die Rachuren bedroht worden. Das Ende schien für sie alle unabwendbar. In dieser Lage hätte jeder sein Leben aus freien Stücken gegeben.
Sie wusste es nicht und mochte sich nicht entscheiden. Sie brauchte etwas, ein Bild, an dem sie sich festhalten konnte, um nicht vollends zu zerbrechen. Irgendjemandem musste sie doch die Schuld an ihrem Unglück geben. Gwantharab war ein Krieger und Soldat, immer schon, seit sie sich kannten. Als Kaptan war er zeit seines Dienstes ein Vorbild für die anderen Sonnenreiter gewesen.
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