Kryson 02 - Diener des dunklen Hirten.epub
gefährlich klingenden Knurren zurück.
Die Gestalt stand dem Baumwolf an Körpergröße in nichts nach. Barfuß, mit nacktem Oberkörper, unbewaffnet und mit viel zu kurzen Lederhosen baute sie sich vor dem Naiki auf. Der unmittelbar auf den Schultern sitzende und nur vereinzelt mit braunen, wild abstehenden Haarbüscheln bewachsene Kopf schien viel zu klein im Vergleich zum restlichen Körper, der wiederum von den Schultern abwärts ausschließlich aus Bergen von Muskeln zu bestehen schien. Die halslose Gestalt hatte Arme und Beine dick wie Baumstämme und einen Brustkorb, der aussah wie eine in Stein geschlagene, breite Brustpanzerung. Die breiteste und am besten ausgeprägte Brust, die der Waldläufer jemals gesehen hatte. Die übergroßen Hände des Geschöpfes glichen eher den schaufelartigen Pranken eines Höhlengräbers als normalen Händen. Eine Urgewalt an Kraft hatte sich vor den Waldläufer gestellt. Vage Hoffnung keimte in dem völlig überraschten Naiki auf – und ein Gedanke schoss durch seinen Kopf. Belrod?
»Belrod!«, rief er schließlich, die Gestalt erkennend.
Es gab keinen Zweifel. Dieser muskelbepackte, stahlharte Riese, der den Baumwolf mit einer unglaublichen Leichtigkeit zur Seite gestoßen hatte, konnte nur Belrod sein.
Belrod drehte den Kopf zu ihm um und lächelte den Waldläufer aus einem zahnlosen Mund breit an. »Belrod … spielen!«, sagte eine tiefe Stimme in freundlicher Euphorie. » Bascho … Freund mit Belrod spielen?«
Erleichterung machte sich bei dem Naiki breit. Doch zugleich überkam den Waldläufer die Sorge um die Gesundheit und das Leben seines außergewöhnlichen Freundes. Belrod nannte den Waldläufer kurz Bascho, weil er nicht in der Lage war, seinen vollen Namen Baijosto Kemyon auszusprechen. So stark der Riese auch sein mochte, so wenig Verstand besaß er in seinem zu klein geratenen Kopf.
In den falschen Händen konnte Belrod zu einer äußerst gefährlichen Waffe werden. Wurde der Riese gut und freundlich behandelt, ließ er sich ohne Weiteres bis zur Selbstaufgabe steuern. Das Gemüt eines Kleinkindes steckte in all seinen naiven Vorstellungen und Handlungen. Ein gefährlicher Spieltrieb, der schon so manch ungewolltes Unheil angerichtet hatte. Er kannte keine Gefahr und war nicht in der Lage, ein Risiko richtig einzuschätzen, weder für sich selbst noch für andere. Er machte seine Erfahrungen, doch er lernte nicht daraus. Dies hatten von jeher andere für ihn getan, die sich seit seiner Geburt für Belrod verantwortlich fühlten und auf ihn aufpassten. Sie waren seine Freunde, beinahe wie Brüder. Seine Familie. Baijosto Kemyon war einer von ihnen.
Sollte Belrod eine schwere Verletzung davontragen, weil Baijosto ihn und seine Kräfte im lebensgefährlichen Kampf gegen die Baumwölfe benutzte, würde sich der Naiki dies nie verzeihen. Gegen ein ganzes Rudel Baumwölfe hatte selbst Belrod nicht den Hauch einer Chance. Doch hoffte Baijosto insgeheim, dass zumindest seine Stammesbrüder Ikarijo und Taderijmon in der Nähe waren und ihnen in der Not zu Hilfe eilten. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Belrod alleine im Wald unterwegs war.
Belrod war ein Maiko-Naiki. Diesen Namen hatten die Naiki den zwar selten, aber doch immer wieder vorkommenden riesenhaften Wesen gegeben. Sie ahnten, dass ein gehäuftes Auftreten damit zusammenhing, je länger und enger ein Stamm oder eine Siedlung in der Abgeschiedenheit zusammenlebte.
Maiko-Naiki waren vollkommen anders als die normal geborenen Naiki, und das schon im Kindersalter. Deutlich stärker an Widerstands- und Körperkraft, wesentlich größer gewachsen und dennoch kurzlebiger. Allerdings überlebten die meisten Mütter die Geburt eines Maiko-Naiki nicht, und aufgrund ihrer schwachen geistigen Fähigkeiten vermochten die Maiko-Naiki zeit ihres Lebens auch nicht für sich selbst zu sorgen. Sie brauchten daher eine starke Gemeinschaft, die sich stets um sie kümmerte. Bei Belrod war das nicht anders gewesen. Niemals ließen die Naiki diese mutterlosen Kinder im Stich. Sie waren Teil ihres Lebens, ihres Alltags. Die Naiki glaubten, dass die Maiko-Naiki tief in ihrem Inneren reinsten Wesens waren. Ein Maiko-Naiki galt daher als etwas ganz Besonderes und musste durch den Stamm geschützt werden. Soweit sich Baijosto erinnern konnte, hatte es in jeder ihm bekannten Naiki-Siedlung irgendwann einen Maiko-Naiki gegeben. Die Maiko-Naiki erledigten unter Aufsicht und Anleitung der für sie Verantwortlichen meist
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