Kryson 02 - Diener des dunklen Hirten.epub
Marktplatz. Dort wurden den Angehörigen der Siedlung die wichtigsten Entscheidungen des Rates mitgeteilt. Dort schlugen sie ihre Waren um.
Vom Rathaus weg führten vier breite, durchhängende Holzstege, die mit dicken, gedrehten Tauen an den Bäumen befestigt waren und als Verbindungsbrücken zu den anderen Bereichen der Siedlung dienten. Die anderen Häuser der Siedlung waren meist schlichte Holzhäuser unterschiedlicher Größe, deren mit Stroh, Blättern und Ästen gedeckte Dächer sich von dem des Rathauses deutlich unterschieden. Ihr Umfang beschränkte sich meist auf einen einzigen, höchstens zwei eng beieinanderstehende Bäume. Die meisten Häuser waren einstöckig, nur wenige wie das Wirtshaus, das Schulgebäude, die Jagdvereinigung und das Handelshaus waren zwei- oder gar dreistöckig gebaut worden. Von jedem Haus führten mindestens zwei Verbindungen weg, die in ihrer Form und Ausgestaltung wie Hängebrücken angelegt waren. Im Gegensatz zu den Hauptstegen des Rathauses waren sie an den Seiten nur durch Seile gesichert, und die Abstände zwischen den einzelnen Holztritten waren größer ausgelegt, sodass der weit darunterliegende Waldboden jederzeit gut sichtbar war. Die Naiki brachten von Natur aus die notwendige Trittsicherheit und Schwindelfreiheit mit, um sich diese Bauweise für ihre am häufigsten genutzten Verbindungswege erlauben zu können.
Als die Jäger in der Siedlung ankamen, waren die Baumhäuser und Stege durch das diffuse Licht vom Boden aus schwer zu erkennen. Nur dem geübten Auge eines Naiki offenbarte sich die in den Baumwipfeln verborgene Siedlung, und das Wissen um den genauen Standort zeigte ihm, wie er dorthin gelangen konnte.
Die drei Jäger in Begleitung des riesenhaften Belrod trafen in der Abenddämmerung am Fuße der Siedlung ein. Sie hatten seit dem Kampf gegen das große Rudel Baumwölfe eine weite Strecke zurückgelegt.
Für Baijosto Kemyon glich der letzte Teil des Weges einer einzigen Tortur. Am Ende seiner Kräfte und geplagt von seiner Verletzung sah er sich kaum noch in der Lage, bewusst einen Fuß vor den anderen zu setzen. Am Ende trug Taderijmon seinen von der Erschöpfung gezeichneten Bruder auf den Schultern, nachdem sich Belrod zusehends erholt hatte und mit jedem Schritt, den sie der Siedlung näher kamen, weniger gestützt werden musste.
Das sehenswerte Spektakel der Abenddämmerung, die in den nördlich des Faraghad-Waldes gelegenen Klangebieten durch den aufgehenden Mond zu einer totalen Sonnenfinsternis einer der beiden Sonnen führte, konnte von den Türmen und der Sonnenterrasse des Rathauses bestens beobachtet werden. Baijosto setzte sich des Öfteren vor Einbruch der Dämmerung mit seinem Bruder und seinem Freund zusammen, um den faszinierenden, magisch anmutenden Lauf der Sonnen und des Mondes zu beobachten.
Freilich zeigte sich die Sonnenfinsternis von diesem Ort aus anders als in den nördlicheren Gebieten des Kontinents. Der Mond bedeckte vom Standpunkt der Naiki-Siedlung aus die eine der beiden untergehenden Sonnen nur zu etwa zwei Dritteln. Ähnlich verhielt es sich mit der mittäglichen Tsairu, die nur in den Kernlanden der Klan ihre volle Wirkung erzielte und weiter im Süden des Kontinents kaum noch als tiefrote Dämmerung wahrzunehmen war. Im Gegenteil, im Hoheitsgebiet der Rachuren und an der nahe gelegenen Grenze nach Tartyk zeigte sich Tsairu in einem blaugrünen, gespenstischen Lichtschimmer. Ganz im Norden und im äußersten Süden von Ell konnten die dort ansässigen Einwohner hingegen zu unterschiedlichen Tageszeiten zwei sich gegenüberstehende, rotierende Sonnen beobachten.
Die je nach Standort in unterschiedlicher Stärke und Ausprägung auftretenden Ereignisse waren immer wieder aufs Neue sehenswert. Ihre Bedeutung blieb allerdings nur wenigen Schriftgelehrten, einigen Magiekundigen und durch den Kontinent Reisenden vorbehalten, die sich näher und ausgiebig mit den Himmelserscheinungen und ihren Auswirkungen auf das Leben beschäftigt hatten. Die Vormittage im Süden des Kontinents waren bis zum Heraufziehen der Tsairu kürzer, die Nachmittage dafür länger, während dies im Norden genau umgekehrt war. Nicht selten wurde angenommen, dass der Lauf der Sonnen und des großflächig sichtbaren Mondes unmittelbar mit der Magie auf Kryson zusammenhing und das Gleichgewicht zwischen den Mächten wesentlich beeinflusste oder – laut der gegensätzlichen Meinung – maßgeblich davon abhing. Welche Theorie am Ende auch immer stimmen
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