Kryson 03 - Zeit der Dämmerung
Ruhe in die einst innere Zerrissenheit einkehren, die von Selbstvorwürfen, Schuldgefühlen, Gram, Missverständnissen und sogar Hass geprägt gewesen war. Calicalar hatte Sapius über lange Sonnenwenden hinweg verleugnet und behauptet, er habe keinen Sohn mehr. Für ihn war der Junge gestorben, genau wie seine Frau, die ihn mit dem Sohn alleine gelassen hatte. Das Drachenfieber hatte sie dahingerafft. Inzwischen betrachtete er die Dinge anders und bereute die Zeit, die er ihn von sich gewiesen und erniedrigt hatte. In gewisser Weise erfüllten ihn die Veränderungen seines Sohnes sogar mit Stolz, selbst wenn er sie nicht begriff und ein solches Gefühl niemals zugeben würde. Er hatte Sapius am Ende verziehen und damit auch sich selbst. Es war in seinen Augen nur folgerichtig, dass er ihm Haffak Gas Vadar für die so wichtige Reise mitgegeben hatte, auch wenn er den Drachen jetzt dringend brauchte.
Es hatte ihn glücklich und zufrieden gemacht, einen kleinen Teil seiner Schuld auf diese Weise tilgen zu können.
Der Mut der Tartyk und die Tatsache, dass sie sich vor fast nichts und niemandem fürchteten, hatten es Nalkaar leicht gemacht, das Portal zur Stadt Gafassa mit einem Gefährten unbehelligt zu durchschreiten. Fast zu leicht, wie er im Nachhinein fand. Immerhin hätten er und sein hünenhafter Begleiter nichts dagegen gehabt, sich zwischendurch im Gesang zu üben und nebenbei ein paar Seelen zur Stärkung einzuverleiben.
Payagata, das Tor des Himmels … eine wahrlich beeindruckende Meisterleistung des handwerklichen Könnens. Lediglich die Felsgeborenen waren als Baumeister in der Lage, ein solches Wunder zu schaffen , dachte Nalkaar bei sich, während er ehrfürchtig auf die Drachenskulpturen starrte.
Seine Bewunderung für die Bauwerke der Felsgeborenen war ehrlich. Schon zu seiner Zeit als Schüler, lange vor seinem Unfall, hatte er sich für die Felsgeborenen und ihre Kunstfertigkeit interessiert. Kein anderes Volk hatte nach seinem Wissen solche oder ähnliche aus dem Fels gehauene Bauwerke geschaffen. Sicher, der Kristallpalast in Tut-El-Baya und der Eispalast des Fürstenhauses Alchovi hinter dem Riesengebirge waren über jeden Zweifel erhabene Wunder der Baukunst der Klan. Dennoch waren diese letztlich kein Vergleich zu den Steinarbeiten der Felsgeborenen.
Zu schade eigentlich, um von den Rachuren eingenommen zu werden , ging es ihm durch den Kopf, Rajurus Chimären werden die Schönheit der Bauten wohl kaum zu schätzen wissen. Ich muss mir nur Krawahta ansehen. Was hätte aus der unterirdischen Stadt Wundervolles werden können, hätten die Burnter statt der Rachuren Hammer und Meißel bei der Erbauung in die Hand genommen.
Dabei hatte er einst in uralten Archivschriften gelesen, dass die Felsgeborenen kein Werkzeug benutzten, um Steine oder Felsen zu bearbeiten. Ihre Methode war unbegreiflich für ihn, ihre Magie bewundernswert. Sie benutzten die Kraft ihrer Gedanken und die Hände, um den Stein nach ihrem Gutdünken zu formen. Eine erstaunliche Fähigkeit, die auf Ell ihresgleichen suchte.
Bei aller Bewunderung für das Volk der Altvorderen war sich Nalkaar der ihm bevorstehenden Aufgabe bewusst. Rajurus Pläne waren mehr als gewagt. Sich einen Drachen untertan zu machen, hielt er nach wie vor für ein Ding der Unmöglichkeit. Nalkaar fühlte sich dennoch gut und stark. Stärker als zuvor. Vielleicht hatten ihn die Flammen der Pein tatsächlich geprägt, wie Rajuru behauptete. Jedenfalls hatten sie ihm die Erkenntnis eingebracht, dass er sich vor nichts auf Ell zu fürchten brauchte. Keine Qual, kein Leiden, nichts war schrecklicher als die Flammen im Reich der Schatten. Das dort erlebte Martyrium dauerte ewig fort, begann von Neuem, wenn er geglaubt hatte, es wäre endlich vorbei. Der Todsänger wollte nicht daran denken. Sie waren auf Geheiß der Rachurenherrscherin nach Gafassa gekommen, um für die Drachenreiter zu singen, und Rajuru auf diese Weise einen Drachen zu bringen. Im Augenblick wollte er nicht daran denken, ob und wie es der alten Hexe gelänge, in den Brutstätten eine oder mehrere Chimären zu erschaffen, die ihr eine erneute Eroberung der Klanlande in Aussicht stellten und am Ende den Feldzug siegreich abschlossen. Wie ein solches Wesen aussehen musste und mit welchen Fähigkeiten es ausgestattet wäre, überstieg Nalkaars Vorstellungskraft. Lieber dachte er an den Gesang, mit dem er sich die Seelen der Drachenreiter einverleiben wollte. Nalkaar würde sein Bestes geben
Weitere Kostenlose Bücher