Kryson 03 - Zeit der Dämmerung
Dämmerung nachließe«, erklärte Nalkaar.
»Oh, tatsächlich?«, fragte Dardhrab erstaunt. »Ich habe nichts dergleichen bemerkt. Ihr müsst ein hervorragendes Gespür besitzen, Nalkaar.«
»Vielleicht habe ich das, vielleicht auch nicht.«
»Nun gut«, sagte Dardhrab, »aber wie finden wir jetzt einen Drachenreiter?«
»Die Drachenreiter gehören zu den in den Stand der allgemeinen Verehrung erhobenen Tartyk. Sie sind etwas Besonderes in ihrem Volk. Sie beschützen die anderen, gelten als Hüter der Drachenmagie und stellen die eigentliche Verbindung zu den Drachen her, denen sie ihre Langlebigkeit zu verdanken haben. Jemand, der auf solche Weise herausragt, wird auch an erhöhter Stelle wohnen. Ich nehme an, dass wir uns zum höchsten Punkt von Gafassa wenden sollten. Dort, vermute ich, werden wir fündig.«
Die edelsten und prunkvollsten Häuser lagen – wie Nalkaar vermutet hatte – auf der Höhe. Die Felsgeborenen hatten vor Tausenden von Sonnenwenden ein wahres Wunder geschaffen, das bis heute unverändert und beständig stabil geblieben war. Die aus dem Fels gehauenen und virtuos geformten Steine und Skulpturen zeigten keinerlei Zerfallserscheinungen. An manchen Stellen war der Stein durch einen witterungsbedingten Belag nachgedunkelt oder an den feuchteren Orten mit Moosen sowie vereinzelten Flechten überzogen. Steil angelegte Gassenwege und schier endlose Treppenstufen führten zu dem Viertel, in dem die Drachenreiter ihre Domizile bezogen hatten. Es war nicht schwer, das Haus des Yasek zu finden.
»Das muss das Haus ihres Anführers sein«, stellte Nalkaar fest, »die Steindrachen sprechen eine eindeutige Sprache.«
»Werden wir jetzt um eine Seele singen?«, fragte Dardhrab ungeduldig.
»Das werden wir«, nickte Nalkaar, »und nicht nur um eine Seele! Gafassa wird uns zu Füßen liegen und uns ihre Seelen auf goldenen Tellern servieren. Wir versuchen ein neues Lied. Es geht mir schon eine Weile im Kopf herum und verdichtet sich, seit wir die Hochebene verlassen und Gafassa erreicht haben. Ihr werdet mich dabei unterstützen und die Töne verstärken. Die Wirkung wird umwerfend sein. Ich fühle mich stark.«
Nalkaar träufelte einen Tropfen der schwarzen, öligen Tinktur auf seine Zunge, die seine Stimmbänder geschmeidig machen und seine Zunge lockern sollte. Anschließend reichte er die Phiole an Dardhrab weiter und forderte diesen auf, es ihm gleichzutun. Der Todsänger schloss die Augen, breitete die Arme aus und richtete seine Konzentration auf die vor ihm liegende Felsenstadt. Er machte sich frei von allen störenden Einflüssen, tauchte tiefer und tiefer in die Atmosphäre von Gafassa ein, ließ die Geräusche und den Duft der Stadt und ihrer Einwohner auf sich wirken. Es kam ihm so vor, als schwebe er auf einer Plattform über den Dächern der Häuser. Der Todsänger konnte die Tartyk atmen hören und nahm ihren Herzschlag wahr, der sich zu Tausenden rhythmischen Trommelschlägen verdichtete. Dazwischen vernahm er das dumpfe und langsame Pochen der Drachenherzen und ihr gleichmäßiges Schnauben. Er spürte, dass sie schliefen und träumten. Sie waren ihm nah, so nah, dass er sie beinahe mit den Händen greifen konnte.
Ein dunkler, gleichbleibender Summton erklang aus den Tiefen seiner Brust, breitete sich aus und wurde stärker. Dardhrab stimmte in den Ton mit ein und verstärkte diesen. Zufrieden lächelnd bemerkte Nalkaar, dass er sich den richtigen Gefährten für diese Aufgabe ausgesucht hatte. Er musste Dardhrab nicht erklären, was er zu tun hatte. Der ehemalige Klansklave wusste instinktiv, wann und wie er den Gesang mit seiner voluminösen Stimme unterstützen und verstärken musste.
Der Ton erreichte die vor und unter ihnen liegenden Häuser, wand sich durch die Gassen der Felsenstadt bis zu den Drachentürmen. Als der Todsänger eine plötzliche Unruhe spürte, wusste er, dass der Ton die Drachen in ihren Türmen bereits erreicht hatte. Ihre Unsicherheit führte er darauf zurück, dass ihnen der Klang fremd vorkam und sie nicht einschätzen konnten, ob eine Gefahr für die Tartyk und den Rat der Alten bestand. Die Drachen kannten die Magie der Todsänger nicht. Nalkaar konnte mit Stolz von sich behaupten, dass er diese Variante der Magie erfunden, das Singen in mühsamer Arbeit unter Schmerzen erlernt und im Laufe der Sonnenwenden stets verfeinert hatte.
Nalkaar streute die ersten Tonfolgen und Klänge ein, während Dardhrab den dunklen Grundton hielt. Der Gesang
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