Kryson 03 - Zeit der Dämmerung
seid. Aber gut …«, begann Quadalkar, »… es ist die Zeit, die gegen Euch läuft. Was Ihr ein Leben im Fluch nanntet, kann nicht als solches bezeichnet werden. Ich werde Euch sagen, was es bedeutet, mit dem Fluch geschlagen zu werden. Zuerst kommt die Kälte. Ihr werdet frieren und glauben, Euer Herz gefröre zu reinem Eis. Dann folgt die Dunkelheit, die sich langsam an Euch heranschleicht und sich allmählich über Eure Gedanken legt. Sie geht einher mit der Einsamkeit und unendlicher Leere. Ihr werdet Euch nach Liebe und Wärme sehnen; in dem Wissen, dass sich diese niemals erfüllen wird, erfährt die Sehnsucht eine Bedeutung in Eurem Dasein, die Euch verzweifeln lässt. Ihr umgebt Euch mit Kindern und Kindeskindern, mit Euresgleichen, die den Fluch und das Schicksal mit Euch teilen sollen. Und doch bleibt Ihr allein, denn schon bald werdet Ihr feststellen, dass sie nur die Gier nach Blut antreibt. Der Verzweiflung folgt der Wahnsinn und diesem der Hunger. Die Gier nach Leben ist schier unermesslich. Sie ist wie eine Sucht, die niemals gestillt werden kann und mit jedem Tag schlimmer zu werden scheint. Nur in jenen Momenten, in denen Ihr das Blut Eurer Opfer trinkt, werdet Ihr den Eindruck gewinnen, die Leere und Kälte in Eurem Herzen und Euren Gedanken für eine kurze Zeit verdrängen zu können. Doch die Kinder konkurrieren mit Euch um das begehrte Gut, und Ihr werdet Euch wie Abhängige um jeden Tropfen streiten. Danach jedoch werdet Ihr wieder zurück in die Dunkelheit fallen, tiefer noch als je zuvor. Schließlich werdet Ihr Euch an den Gedanken gewöhnen, unsterblich zu sein und auf ewig mit dem Fluch dahinvegetieren zu müssen. Der Gewohnheit folgt die Gleichgültigkeit und das Gefühl, in einem engen Verlies für alle Ewigkeit unentrinnbar gefangen zu sein. Die Unsterblichkeit ist nicht erstrebenswert, Lordmaster. Sie raubt Euch die Kraft und nimmt die letzte Gelegenheit, Euch lebendig zu fühlen. Und schließlich steht die Angst. Eine schreckliche Angst, nie wieder frei zu sein, das Leben eines Tages wieder zu atmen oder Liebe zu empfinden. Ihr werdet Euch verstecken, vor Euch selbst und anderen. Ihr schämt Euch für das, was Ihr seid. Ihr werdet alles verachten, das nicht so ist wie Ihr selbst. Voller Hass auf alles Lebende kreisen die Gedanken eines Bluttrinkers nur noch um ein Gefühl – um Rache!«
Quadalkar hielt inne und sah dem Lordmaster direkt in die Augen, als wolle er ihn um einen Gefallen bitten, bevor er fortfuhr. Madhrab glaubte nun endlich verstanden zu haben, was den Bluttrinker antrieb.
»Und nun, Bewahrer, habt Ihr eine Ahnung, was es bedeutet, mit dem Fluch existieren zu müssen!«, beendete Quadalkar seine Ausführungen.
»Ich danke Euch«, sagte Madhrab, »und ich weiß nun, was ich zu tun habe.«
»Wohlan«, sagte Quadalkar, »bringen wir es zu Ende!«
Der Schwerthieb des Bewahrers traf den Bluttrinker schnell und überraschend. Madhrab hatte all seine Kraft und sein Können in den Hieb gelegt. Mit einem furchterregenden Schrei auf den Lippen fiel Quadalkar zu Boden. Sein Brustkorb hob und senkte sich schwer. Dunkles Blut sickerte aus einer tiefen, klaffenden Wunde, die sich quer über seinen Oberkörper zog, seine Brust geöffnet und das Herz getroffen hatte. Vorsichtig näherte sich der Lordmaster dem Gefallenen. Er beobachtete, wie Quadalkar plötzlich alterte, schrumpfte und in sich zusammenfiel. Binnen weniger Sardas lag ein zitternder, sterbender Greis vor ihm, der den Gesetzen der Natur zufolge längst nicht mehr leben durfte. Doch seine Zugehörigkeit zu den Saijkalrae und die magische Begabung hielten ihn am Leben.
Eine matte Stimme flüsterte dem Bewahrer Worte zu, die er nur mit Mühe verstehen konnte.
»Ihr … ihr habt den Fluch tatsächlich gebrochen«, sagte der Greis. »Seht Euch um, Lordmaster. Das Unglaubliche ist eingetreten. Dank Euch wurden die Bluttrinker von dem Fluch befreit.«
»Das war es, was Ihr mit Befreiung tatsächlich meintet, nicht wahr?«, hakte Madhrab nach.
»Ich hatte darauf gehofft, als ich gegen die Bewahrer zog, aber ich wagte nicht, wirklich daran zu glauben, weil ich die Befreiung in meinem Innersten für unmöglich hielt. Also suchte ich einen Weg, der für mich und die Kinder endgültig sein sollte. Ich wollte eine Entscheidung erzwingen.
Entweder hätten wir den Kampf gewonnen und die Klanlande und alles Leben auf Ell allmählich mit dem Fluch unterjocht. Dann wären wir alle gleich gewesen und der Schmerz und die
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