Kryson 03 - Zeit der Dämmerung
hatte das Gefäß geantwortet, sich auf den Rücken des Pferdes geschwungen und war rasch in der Dämmerung verschwunden.
Elischa hingegen stand unter ständiger Beobachtung und konnte keinen Schritt alleine tun. Entweder waren die Wachen bei ihr oder die unsägliche Acerba überschüttete sie mit ihrem Hass, furchtbaren Mühen und Prügeln. Bald waren ihr Rücken und die Beine krumm und blau geschlagen. Ihre Hände wiesen Schwielen und Risse auf. Sie war von Kopf bis Fuß schmutzig und kaum noch zu erkennen. Sie kam sich wie eine in der Dunkelheit verlorene Kreatur vor, die keine Freude kannte. Nur Arbeit, Mühen und Pein.
Bis auf die wenigen Horas am Tag, die sie in der Kammer alleine verbringen und schlafen durfte. Aber selbst diese waren ihr nicht vergönnt. Nahezu jede Nacht kam Fürst Chromlion in ihre Kammer, der sich von ihrem Zustand entgegen ihrer Hoffnung nicht schrecken ließ, und sie musste seine Erniedrigungen, seine männliche Triebhaftigkeit und die schmutzigen Berührungen ertragen.
Nie zuvor hatte sie einen solchen Hass für ein Wesen empfunden, wie sie ihn für Chromlion fühlte. Wurde die Verzweiflung unerträglich, nahm sie die Muschel des Kapitäns in die Hand und versuchte sich zu beruhigen. Aber seit Chromlion über sie gekommen war, hatte sich ein dunkler Schatten über ihre Träume gelegt und ihre Hoffnung endgültig zerstört. Fürst Chromlion Fallwas hatte ihr alles geraubt und ihren Willen gebrochen, hatte ihre Würde als Frau, die Freiheit, das Leben und womöglich ihre Seele genommen.
Der Dienst als Magd im Hause Fallwas hatte Elischa verändert.
D IE G RUBE
D urch die Dornenebene und das zweite Tor, dann über die Brücke zum inneren Tor gelangte Madhrab endlich in das Haus des hohen Vaters. Sein Gang, gefolgt von den siebzehn Bewahrern, mutete wie eine Prozession an. Die düsteren Erinnerungen an seine Gefangenschaft und seine anschließende Flucht holten ihn ein. Dennoch kam es ihm vor, als läge all dies eine halbe Ewigkeit zurück. Er vermisste Elischa, ihre Nähe und Wärme, die ihm stets Kraft zum Durchhalten gegeben hatte. Sie war der eigentliche Grund, warum er die Strapazen und den fortwährenden Kampf auf sich genommen hatte. Aber sie war nicht bei ihm, um ihm bei diesem schweren Gang beizustehen, der sein letzter werden konnte. Hoffentlich war ihr nichts zugestoßen. Der Gedanke, sie könnte in Not sein, war für den Bewahrer unerträglich.
Madhrab wusste nicht, was ihn innerhalb der Mauern erwartete. Wie würde Boijakmar reagieren? Musste er kämpfen und seine Brüder töten, um Gerechtigkeit zu finden. Er war zu allem bereit.
Als siegreicher Lordmaster und Bewahrer des Nordens war er nach der Schlacht am Rayhin nach Hause zurückgekehrt. Damals hatte er das Haus des hohen Vaters noch als solches angesehen. Das änderte sich, als sie ihn beinahe zu Tode foltern ließen. Als zu einem Schicksal in der Grube verurteilter Verbrecher, mit dem Gedanken an Rache im Kopf war er heimlich geflohen, um das Leben Elischas und ihres gemeinsamen Kindes zu retten. Nun kehrte er erneut zurück, um nach Antworten zu suchen. Ob er das Wissen erhielte, nach dem er strebte, vermochte er allerdings nicht zu sagen.
Vor dem Haus des hohen Vaters hatte Boijakmar die Sonnenreiter und Bewahrer versammeln lassen. Fackeln waren rundherum verteilt worden und beleuchteten den Vorplatz mit ihrem flackernden Schein. Die Sonnenreiter hatten Aufstellung bezogen und erwarteten den einsamen Krieger, der die Belagerung durchbrochen und beendet hatte. Es war eine Mauer des Schweigens, die dem Lordmaster begegnete. Niemand redete, nicht einmal ein Flüstern, Räuspern oder Husten war zu vernehmen. Es kam ihm vor, als warteten sie alle gespannt auf eine wichtige Entscheidung, die sie keinesfalls verpassen wollten. Oder aber der Lordmaster machte den Eindruck eines Eroberers auf sie, der jeden Moment die Macht übernehmen, Plündern und Brandschatzen würde. In solchen Momenten eines bevorstehenden Wechsels konnte eine Auffälligkeit höchst unklug sein.
Der hohe Vater selbst stand mit unbewegtem Gesicht am oberen Ende der Treppe, umringt von einer Schar Bewahrer, die mit gezogenen Schwertern dessen Leben sicherten. Madhrab bahnte sich seinen Weg durch die auf dem Vorplatz versammelten Frauen und Männer bis zum Fuß der Treppe. Viele der Gesichter seiner Schwestern und Brüder kannte er. Sie hatten Seite an Seite mit ihm in den Grenzkriegen und in der Schlacht am Rayhin gegen die Rachuren gefochten.
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