Kryson 03 - Zeit der Dämmerung
Einige andere allerdings vermisste er schmerzlich. Wo waren Kaptan Brairac und die treuen Sonnenreiter, die ihn und Elischa auf der Flucht begleitet hatten?
Der Blick des Bewahrers wanderte Treppenstufe um Treppenstufe nach oben, bis er schließlich bei dem hohen Vater hängen blieb.
»Boijakmar«, erhob Madhrab seine Stimme, nachdem er die Augen des hohen Vaters gesucht und gefunden hatte, »ich bin zurück. Gerade rechtzeitig, wie mir scheint. Die Belagerung ist beendet. Die Gefahr gebannt.«
»Das sehe ich«, antwortete der hohe Vater prompt, »ich hatte deine Rückkehr erwartet, wenn auch in Ketten, wie es sich für einen Verbrecher gehört.«
»Du sprichst nicht die Wahrheit, Vater«, warf Madhrab dem hohen Vater vor, »oder hast du tatsächlich angenommen, ich würde dir in Ketten zu Füßen geworfen, damit du dein Urteil an mir vollstrecken kannst?«
»Stimmt, das muss ich wohl zugeben«, meinte Boijakmar, »wenn ich ehrlich bin, rechnete ich mit einem Erscheinen, das deiner würdig ist. Gleich einem Donnerschlag, den niemand überhören mag. Deine Häscher haben dich nicht erwischt. Das hatte ich befürchtet. Tod und Verderben folgen all deinen Schritten, mein Sohn. Wie einem Dämon, der unser Land verwüstet. Wie ich erwartet hatte, kleben Unmengen von Blut an deinem Schwert und der Rüstung. Kannst du deine Hände von der schweren Schuld unzähliger Opfer jemals wieder reinwaschen?«
»Bin ich nicht der, den du erschaffen hast?«, erwiderte Madhrab.
»O nein, Madhrab«, widersprach der hohe Vater, »du machst es dir zu leicht, wenn du die Verantwortung für das, was du geworden bist, auf mich oder die Bewahrer abwälzt. Ich nahm und zog dich im Orden auf, lehrte dich die Regeln der Bewahrer und der Orna und brachte dir bei zu kämpfen und zu siegen. Vielleicht war das der Fehler, den ich beging. Ich vertraute auf deine Stärke und die Vernunft eines hochbegabten, nein, begnadeten Kriegers. Dein Wesen jedoch kommt aus dir selbst. Du trafst die Entscheidungen, die dich zu einem Lordmaster und Bewahrer machten. Du zogst aus freien Stücken in die Grenzkriege und in die Schlacht am Rayhin, um einen Großteil der dir treu ergebenen und vertrauenden Nno-bei-Klan ins Verderben zu führen. Du alleine hast deine Gefährten, Brüder und Schwestern getötet, als sie von einer Krankheit befallen wurden. Du schicktest Klanfrauen in den Tod, weil sie dich in ihrem Hass der Geschändeten um Erlösung und Rache für ihre Qualen baten. Erinnere dich an den Tag vor der Schlacht. Ich kam zu dir und bot dir eine Gelegenheit, die du nicht wahrnehmen wolltest. Unverrichteter Dinge zog ich mit Lordmaster Chromlion wieder von dannen. Du kehrtest zurück und hast auf heiligem Boden ein Blutbad unter deinen Brüdern angerichtet. Du bist gefährlich, mein Sohn. Mit jedem Schlag und Sieg wurdest du mächtiger. Das musst du endlich erkennen. Nicht nur für dich selbst und dein Seelenheil, sondern auch für andere und den Orden. Ich habe dich für deine schändlichen Taten zu einem Schicksal in der Grube verurteilt. Das war der einzig richtige Weg, ohne dich zum Tode verurteilen zu müssen.«
»Lügen, Vater«, rief Madhrab, »… das sind nichts als Lügen. Du verdrehst die Tatsachen, um mir zu schaden und dein eigenes Versagen damit zu vertuschen. Du versteckst dich hinter den Schwertern meiner Ordensbrüder, obwohl auf heiligem Boden nicht gekämpft oder Blut vergossen werden darf. Warum? Sag mir, warum du mich verraten hast. Ich war dir stets treu, wäre für dich, unsere Brüder und die Orna zu den Schatten gegangen, hättest du es von mir verlangt. Bis zuletzt hast du mich und den Orden getäuscht und tust es noch. Ich bin gekommen, um nach Antworten zu suchen. Willst du mich vernichten, mein Leben zerstören, mich am Boden vor dir knien und um Vergebung flehen sehen? Was erwartest du von deinem Sohn?«
»Ich erwarte, dass du dich dem Schicksal und der Gerechtigkeit der Bewahrer stellst. Das Urteil kann nicht aufgehoben werden«, antwortete Boijakmar hart.
»Ist das alles?«, fragte Madhrab »Ich habe die Ordenshäuser gerettet und dafür die Bluttrinker geschlagen. Der Fluch ist gebrochen.«
»Das ist ohne jede Bedeutung«, antwortete Boijakmar, »sie waren bereits verloren, als sie den ersten Schlag gegen die Mauern unserer Häuser führten. Früher oder später hätten wir Quadalkar geschlagen, so wie ich seine Kinder schon einmal vernichtend schlug.«
Madhrab schüttelte deprimiert den Kopf. Es war zwecklos. Der
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