Kryson 03 - Zeit der Dämmerung
wenn du willst. Eine fürchterlicher als die andere. Doch deine sind die stärksten und schlimmsten von allen. Ein Hochgenuss, so süß und wohlschmeckend wie nichts anderes auf Kryson. Sie geben mir Kraft und Hoffnung.«
»Verrate mir, was es mit dem Jungen des Foltermeisters Sick auf sich hat«, verlangte Madhrab.
»Madsick? Was interessiert er dich? Er war ein allzu neugieriger, aber sehr begabter Junge, der in die Grube stieg, weil er sich für die Musik eines Flötenspielers interessierte. Aber seine Erinnerungen waren wertlos für mich. Zu jung und zu wenig hatte er gesehen, als ich ihn in der Grube antraf. Ich ließ ihn gehen, doch nicht ohne ihn zuvor meinem Willen zu unterwerfen. Durch ihn habe ich viel über dich erfahren. Er bereitet mein Kommen vor und ist das Auge, durch das ich sehen kann. Eine ganz eigene Art von Magie beherrscht er, die sonst nur den Todsängern zu eigen ist, und er kann die Schatten rufen, mit deren Hilfe wir Kryson unterjochen und nach meinem Bild neu erschaffen werden. Ein Kryson des Schmerzes und der Kümmernis. Du wirst schon sehen. Warte nur, bis er die Flammen der Pein mit seiner Musik aus den Schatten befreit.«
Madhrab hatte genug erfahren. Der Herr der Grube war vom Wahnsinn besessen.
»Gib mir deine Erinnerungen«, forderte der Gedankenschinder, »ich brauche mehr davon. Keine Sorge, es tut nicht weh und wird schon bald vorbei sein. Du wirst in der Vergessenheit der Grube versinken.«
Plötzlich sah sich Madhrab einer steinernen Gestalt gegenüber, die ihm in der Größe lediglich bis zur Hüfte reichte. Die Felsgeborenen hatte er sich stets größer vorgestellt. Dennoch wusste Madhrab, dass er sich nicht von der äußeren Erscheinung täuschen lassen durfte. Die Augen der Kreatur strahlten eine Boshaftigkeit, Mordlust und Grausamkeit aus, die er nie zuvor gesehen hatte.
»Sieh mich nicht so an«, sagte der Gedankenschinder, »ich weiß, ich bin von kleinem Wuchs. Ein Grund, weshalb mich die Burnter niemals als einen der Ihren angesehen haben.«
»Wahre Größe zeigt sich nicht am Wuchs!«, bemerkte Madhrab.
»Weise Worte, Bewahrer«, antwortete der Herr der Grube. »Ich wusste, du würdest mich verstehen.«
Der Bewahrer sah nur einen einzigen Ausweg. Er musste sich dem Drängen des Gedankenschinders noch einmal öffnen. Einen Gedanken, oder vielmehr ein Gefühl, hob er sich bis zum Schluss auf. Madhrab spürte, wie sich sein Kopf leerte und ihm die Sinne schwanden. Sein Leben flog in raschen Bildern an ihm vorbei. Die Erinnerung an seine Kindheit und Jugend verblasste, als hätte es sie nie gegeben. Stattdessen füllte ihn der Herr der Grube mit den Träumen geisteskranker Mörder, gab ihm eine Vorstellung des absolut Bösen und zog ihn in den tiefen Abgrund der schrecklichsten Verbrechen hinab. Bald würde er das grausame Schicksal Brairacs und der anderen Gefangenen teilen. In den Erinnerungen des Lordmasters hemmungslos wühlend, holte sich der Herr der Grube das Wissen des Bewahrers, drang tiefer und tiefer, bis er an eine scheinbar undurchdringliche Mauer stieß.
»Was verbirgst du vor mir?«, wollte der Gedankenschinder voller Ungeduld wissen. »Ich reiße die Mauer mit Gewalt nieder, wenn es sein muss. Zeige mir, was du dahinter versteckst. Jetzt sofort.«
Madhrab gab nach. Das Bild Elischas tauchte klar und deutlich vor ihm auf. Ihre Augen strahlten vor Freude und Glück. Sie schien zum Greifen nah. Ihr Anblick ließ sein Herz augenblicklich schneller schlagen. Das Band, das sie einst in Liebe geknüpft hatten, strahlte ein gleißend helles Licht aus und erfüllte den Bewahrer mit einer Wärme, die das triste Grau durchdrang und die Kälte aus seinen Gliedern vertrieb.
»Elischa!« Der Name der Orna raste durch seinen Kopf. Der Lordmaster konnte an nichts anderes mehr denken. Sie verkörperte all die Liebe und Sehnsucht, die sein Leben bestimmten, und die Leidenschaft, die sie in ihm entfachte. Dies waren die tiefsten Gefühle, die in ihm schlummerten und seine bestgehüteten und geheimsten Erinnerungen. Er vermisste sie, ihre Nähe, ihre Zärtlichkeit, die Stimme, ihre Augen, einfach alles an ihr. Seine Liebe war so stark, dass sie ihn bis zur Unerträglichkeit schmerzte.
»Elischa!«, schrie Madhrab, so laut er nur konnte, und ihr Name hallte durch die Gänge der Grube.
»Elischa, ich liebe dich«, brüllte er dem Gedankenschinder mit letzter Kraft entgegen, bevor er zusammenbrach und weinend auf die Knie fiel.
Entsetzt wich der Herr der Grube vor
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