Kryson 03 - Zeit der Dämmerung
Reisegefährten durch die Klanlande waren in den vergangenen Monden gestorben. Entweder die Seuche hatte sie dahingerafft oder sie waren Opfer des in der Stadt vorherrschenden alltäglichen Wahnsinns geworden. Der Narr hatte Glück gehabt und die Gelegenheit beim Schopf gepackt, als ein Gaukler zur Unterhaltung und Aufmunterung der Regententochter Raussa gesucht worden war. Sie war für einen unkonventionellen Geschmack in Sachen Unterhaltung bekannt, da kam ihr der Narr mit den zu kurzen Beinen und der Flickenkappe offenbar gerade recht. Die überwiegende Zahl seiner Zuschauer fand ihn weder lustig noch irgendwie interessant. Im Gegenteil. Mit der Art seines Humors stieß er meistens auf taube bis ablehnende Ohren. Häufig war die Rede von ärgerlich und unverschämt, wenn es um die Darbietungen des Narren ging. Bis auf Raussa, die seine von einem birnenförmigen Saiteninstrument vorgetragenen Lieder und Reime – die keine waren – liebte und sich vor Lachen den Bauch hielt und Tränen vergoss. Der Narr hörte auf den klangvollen Namen Tarratar. Ob dies sein wirklicher oder ein Künstlername war, wusste nur er selbst. Tarratar erzeugte schiefe und schräge Klangfolgen auf seinem Instrument, die den Zuhörern nahelegten, dass er überhaupt nicht spielen konnte, und in den Ohren gar fürchterlich schmerzten. Raussa hingegen bezeichnete sein Spiel als virtuos und überaus künstlerisch. Übertönt wurden die Missklänge von einer heiseren bis schrillen Stimme, die kaum noch als solche bezeichnet werden durfte. Doch seine Zunge war so scharf wie keine andere und er übergoss die Gesellschaft des Hofes stets auf Neue mit ätzendem Spott und Hohn. Hätte ihn die Tochter des Regenten nicht unter ihren persönlichen Schutz genommen, wäre er längst einen Kopf kürzer gemacht worden oder eines anderen unnatürlichen Todes gestorben. Die Praister kannten durchaus wirksame Mittel, sich des Problems still und leise anzunehmen. Kein Aufsehen, kein Vermissen. Aber Raussa hing aus unerfindlichen Gründen an dem Narren, der sogar zuweilen lüstern unter ihre Decke kroch.
Ich will mir nicht vorstellen, was er dort treibt, dachte Thezael und verdrehte die Augen, das ist wider die Natur.
Raussa war unberechenbar. Thezael fürchtete sich jedoch vor ihren Zornesausbrüchen, wenn sie erfahren hätte, dass Tarratar verschwunden wäre. Sie hätte umgehend Verdacht geschöpft und ihn zur Rechenschaft gezogen. Einmal hatte sie sich in einer öffentlichen Versammlung völlig überraschend – ohne ihren Vorwurf näher zu begründen – erlaubt, Thezael des hinterhältigen Mordes an ihrem Vater und Fürst Fallwas zu bezichtigen. Ein Raunen und Flüstern war durch die während der Versammlung anwesenden Höflinge gegangen, als sie die Worte der Beschuldigung ausgesprochen und nicht wieder zurückgenommen hatte.
Wie nicht anders erwartet hüpfte der Narr auch jetzt auf seinen Stummelbeinen im Kreis aufgeregt um die Regentin und bedachte deren eifrig laszives Liebesspiel mit einem entfernten Verwandten des Fürstenhauses Habladaz, der auf den Namen Ayadaz hörte, und einem Diener namens Darfas unentwegt mit derben Sprüchen und üblen Zoten. Die Regentin störte sich nicht daran, sondern lachte lauthals über die Kommentare ihres Narren, während sie sich von den beiden Männern befriedigen ließ, und lud ihn schließlich mit einer deutlichen Handbewegung dazu ein, mitzumachen. Die Aufforderung ließ sich Tarratar nicht zweimal geben. In weniger als einer Sardas war er bis auf seine Flickenkappe, die er auf dem Kopf behielt, entkleidet und stürzte sich mitten auf die sich in den Kissen auf einem Podest räkelnden Leiber. Thezael sah dem Treiben aus der Entfernung für eine Weile zu, bevor er sich dazu entschloss, sich zu nähern und durch ein lautstarkes Räuspern bemerkbar zu machen.
»Ihr habt mich rufen lassen, Regentin«, begann der Praister vorwurfsvoll, ohne eine Aufforderung zum Sprechen abzuwarten, »meine Zeit ist kostbar. Was kann ich für Euch tun?«
Verdeckt von den sich auf ihr im stetig steigernden Rhythmus des Liebesspiels bewegenden Körpern, sah Raussa überrascht zu Thezael auf, der sich breitbeinig und mit in die Hüfte gestemmten Armen vor ihr aufgebaut hatte. Ihr Blick war vom Genuss zahlreicher Rauschmittel in den vergangenen Tagen glasig geworden. Berauscht und abgelenkt nahm sie den Praister nur halb durch einen dichten Nebel ihres Bewusstseins wahr. Sie fühlte sich durch die Anwesenheit Thezaels gestört und
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