Kryson 03 - Zeit der Dämmerung
Schlünden der nach frischem Fleisch Hungernden.
Die schlimmsten Befürchtungen hatten sich mit dem Einzug der Geißel der Schatten bewahrheitet. In den Gassen der Stadt türmten sich die Toten und Opfer der Seuche und verpesteten die Luft mit ihrem Gestank. Überall stapelte sich Schutt und Müll. Die Hoffnungslosigkeit war allerorts spürbar und lag wie eine dunkle, bedrückende Wolke über Tut-El-Baya. Niemand vermochte sich den Schrecken zu entziehen. Der Kampf ging längst nicht mehr ums Überleben. Die meisten in der Stadt wohnenden Klan hatten mit ihrem Leben abgeschlossen. Nichts als Trostlosigkeit erwartete sie Tag für Tag aufs Neue. Manche ergaben sich lieber freiwillig ihrem Schicksal, das ihnen früher oder später ohnehin blühte. So dachten sie jedenfalls, schlossen die Augen und warfen sich den Infizierten in die Arme, damit ihr Elend endlich ein Ende fände. Zwar war dies ein Ende mit Schrecken, aber das war in den Augen mancher unter ihnen immer noch besser, als jeden Tag vor Angst zu zittern und so lange zu warten, bis die Seuche oder die Schatten von selbst zu ihnen fanden. Verstecken war zwecklos. Wenn die Geißel der Schatten Opfer suchte, so fand sie sie auch. Wie lange dieser Zustand vorhalten würde, war ungewiss. Bestenfalls vielleicht einige Wochen, womöglich ein paar Monde oder im schlimmsten Fall sogar eine Sonnenwende und länger. Irgendwann musste allerdings selbst die Geißel der Schatten weichen und der Spuk wäre von einem Tag zum anderen vorbei. Solange die Seuche allerdings ihre Opfer fand, hatte sie die Hauptstadt der Klan fest im Griff und beherrschte das traurige Stadtbild.
Überaus verärgert kam Thezael mit wehenden Gewändern in den Festsaal des Palastes gerauscht. Er war außer Puste und hielt sich nach Luft ringend an einem schweren Vorhang neben der Eingangstür fest. Angewidert starrte er auf das sich ihm bietende Bild der Feiernden, von denen nicht wenige ihren Rausch unter den Tischen und in den Ecken des Saales laut schnarchend ausschliefen. Die Regentin hatte ihn rufen lassen, und er hatte ihretwegen wieder einmal wichtige Studien und Geschäfte unterbrechen müssen. Das war eine dreiste Geste, die ihr in seinen Augen nicht zustand. Er musste Raussa diese Angewohnheit schnellstens austreiben, wusste allerdings nicht, wie er das anstellen sollte. Seit Tagen beging sie ihre zwanzigste Sonnenwende mit einem rauschenden Fest. Draußen herrschte der Wahnsinn des Todes und drinnen im Palast die Dekadenz eines Hofstaates, der sich in den letzten Zügen befand.
Wie kann sie nur so schamlos sein? Vögelt vor den Augen ihrer Gäste mit dem halben Hofstaat und zecht sich zwischendurch den Verstand weg , ging es Thezael durch den Kopf , dabei sieht dieses lüsterne Weib noch so unverschämt verlockend aus, dass ich glatt schwach werden könnte.
Die Monde der Trauer über des Regenten Gang zu den Schatten waren noch nicht einmal vorüber, schon wurden auf Anweisung der Regententochter die ersten rauschenden Feste im Kristallpalast gefeiert. Ohnehin tat Raussa, was ihr gefiel, und behandelte den obersten Praister, als wäre er einer ihrer Diener. Sie ließ keine Gelegenheit aus, ihn zu demütigen. Wenn es ihr gefiel, sogar vor den versammelten Augen des Hofstaates. Es war ein Desaster, seine Pläne der Machtübernahme lagen in Scherben. Die Stadt war ein Trümmerhaufen und ein Hort der Krankheit. Nur wer seinen Verstand verloren hatte, wagte einen Schritt in die Nähe der Häuser unterhalb der Gartenanlagen, und wer den schnellen oder qualvollen Tod suchte, sogar noch ein Stück weiter hinein. Die Hauptstadt war für Thezael wertlos geworden. Er hatte die Hoffnung aufgegeben. Tut-El-Baya war nicht mehr zu retten. Selbst die Orna, die mit einem Gegenmittel hätten helfen können, waren nicht in der Stadt erschienen. Nicht eine Abgesandte hatten sie zu ihm geschickt.
Es ist alleine die Schuld des Ordens, wenn die Stadt der Klan am Ende stirbt, dachte Thezael verbittert, sie betrauern den Tod ihrer alten Mutter und warten währenddessen mit dem Wissen um das Heilmittel untätig auf die Wahl einer neuen Mutter. Bis dahin legen sie die Hände in den Schoß und sehen dem Untergang zu. Vielleicht schreiben sie ein paar warme Worte des Nachrufs auf Tut-El-Baya.
In der Annahme, die Regententochter kontrollieren und beraten zu können, war die direkte Nachfolge in der Regentschaft mit dem Wohlwollen der Klanfürsten im Wesentlichen auf sein Betreiben hin zurückzuführen. Das
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