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Kryson 03 - Zeit der Dämmerung

Titel: Kryson 03 - Zeit der Dämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Rümmelein
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den Augen des hohen Vaters jede Anordnung, die den Tod des Lordmasters zur Folge haben sollte, von vornherein zum Scheitern verurteilt. Natürlich war dies ein höchst gefährliches Spiel, das jederzeit in die falsche Richtung laufen konnte. Aber es war nicht ausgeschlossen, dass ihm Boijakmar eine letzte Prüfung auferlegt hatte, die er bestehen musste. Je mehr er darüber nachdachte, umso eher drängte es ihn danach, sich Gewissheit zu verschaffen.
    Der winzig kleine Funken Hoffnung, der soeben in ihm zu keimen begonnen hatte, wurde allerdings jäh zunichtegemacht, als Madhrab die Grenzen seines Heimatdorfes am Fuße des Choquai erreichte. Erwartungsfroh hatte er sich auf ein Wiedersehen mit seinen Brüdern, der Schwester und Mutter gefreut. Stattdessen trafen ihn der Anblick von Trostlosigkeit, Verzweiflung und Trauer der Überlebenden eines Winters voller Schrecken unvorbereitet und hart. Die Auswirkungen der Zeit der Dämmerung waren ihm bereits auf seinem Weg über den Choquai aufgefallen. Doch diesseits des Riesengebirges wurde ihm erst richtig bewusst, dass das Tageslicht verschwunden und der ewigen Dämmerung gewichen war. Jegliche Farbe wich aus seinem Gesicht, die Hände ballten sich zu Fäusten und seine Augen starrten entsetzt auf das sich ihnen bietende Antlitz des Terrors. Obwohl sie bis zur Unkenntlichkeit entstellt waren, hatte Madhrab die auf den Pfählen aufgespießten Köpfe seiner Familie sofort erkannt. Im ersten Augenblick glaubte er an eine Sinnestäuschung und dachte, er befände sich in einem grauenvollen Albtraum, aus dem er unbedingt erwachen musste, wenn er nicht um seinen Verstand fürchten wollte.
    Unmöglich, das kann nicht sein. Sie sind nicht tot. Wach auf, Madhrab. Wach doch endlich auf, hörte er sich selbst in seinen Gedanken schreien, während er vor dem Kopf seiner Mutter auf die Knie fiel, die ihn aus leeren Augenhöhlen vorwurfsvoll anstarrte.
    Nein, nein … Mutter. Bitte! Das dürft ihr mir nicht antun. Nythrab, Solhab, Hira … was ist geschehen? Sprecht zu mir …, Madhrab war wie gelähmt und zu keinem anderen Gedanken imstande.
    Auf Knien kroch er von einem Pfahl zum anderen in der verzweifelten Hoffnung, eine Regung oder irgendein Lebenszeichen zu entdecken. Doch nichts bewegte sich. Niemand sprach zu ihm. Nicht einmal seine Mutter fand tröstende Worte. Ihm war es unmöglich, aus dem Albtraum zu erwachen, sosehr er sich auch mühte. Der anfänglichen Fassungslosigkeit folgte eine Hilflosigkeit, der sich Madhrab nie zuvor in vergleichbarer Weise ausgesetzt sah. Er konnte nicht aufhören, die Köpfe der Enthaupteten oder das, was von ihnen übrig war, anzustarren.
    Madhrab befand sich in einem langen dunklen Gang, an dessen Ende ihn nicht das Licht, sondern Schatten erwarteten. Er sah die verwesenden Leiber seiner Brüder, die mit dem Kopf unter dem Arm den Gang entlangschlurften. Orientierungslos stießen sie gegen die Wände. Nythrab stürzte und der Kopf rollte vor Madhrabs Füße. Der Lordmaster wollte ihn behutsam aufheben und ihn seinem Bruder auf den Hals setzen. Die Augenhöhlen waren leer und die Lippen bewegten sich. Eine Made kroch aus der Mundhöhle.
    »Wo warst du Bruder, als wir dich brauchten?«, fragte Nythrab.
    »Warum hast du uns nicht geholfen?«, echote eine Stimme durch den Gang, die, wie Madhrab unschwer erkannte, Solhab gehörte.
    »Wir waren so stolz auf dich, großer Bruder. Du brachtest uns in Gefahr. Wie konntest du uns auf diese Weise sterben lassen?«, warf ihm Hira vor.
    »Mein Sohn. Wir irren durch die Finsternis der Schatten und finden keine Ruhe. Wer waren die Männer, die meine Kinder töteten und die sich zuvor als deine Brüder ausgaben?«, sprach Madhrabs Mutter zu ihm.
    »Nein, ihr seid nicht tot!«, schrie Madhrab. »Das dürft ihr nicht!«
    »Wir sind tot!«, sagte Nythrab.
    »Wir sind tot!«, antwortete Solhab.
    »Wir sind tot!«, bestätigte Hira.
    »Wir sind tot!«, rief Madhrabs Mutter.
    »Ich hole euch zurück. Jeden Einzelnen von euch und wenn ich dafür die Schatten überwinden muss«, versprach Madhrab.
    »Zu spät … viel zu spät … du kannst nichts mehr für uns tun. Lebe wohl, Madhrab«, verabschiedete sich seine Mutter.
    »Zu spät … viel zu spät. Vielleicht sehen wir uns eines Tages in den Schatten wieder «, meinte Nythrab und verschwand durch den Gang.
    »Du hättest uns in der Not beistehen müssen. Aber du kamst … zu spät … viel zu spät. Auf Wiedersehen, Bruder «, antwortete Solhab zum Abschied.
    »Ach

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