Kryson 03 - Zeit der Dämmerung
Zauber eines Scharlatans. Lasst euch nicht von ihr täuschen, dann verschwindet sie von selbst.«
Seit der Lesvaraq geboren wurde, hatte sich in der Siedlung im Herzen des Waldes einiges verändert. Die Naiki hatten ihre Zuversicht zurückgewonnen. Das Mädchen mochte die Dunkelheit nicht sonderlich, und als das Licht der einen Sonne verschluckt und von der Dämmerung abgelöst wurde, war es sogleich auf die höchste Plattform der Siedlung gestiegen, hatte zweimal in die Hände geklatscht und so im Handumdrehen die Dunkelheit über der Siedlung vertrieben. Wie eine sonnige Insel mitten im vom dunklen Sturm umtosten Meer hob sich das Herz des Faraghad vom übrigen Wald ab. Selbst die alte, im Umgang mit Magie erfahrene Naikihexe Metaha war in ungläubiges Staunen verfallen ob der Leichtigkeit, mit der Kallya ihre Behauptung bewiesen, die einige Mitglieder des inneren Rates anfänglich nur als kindliche Träumerei und Übermut abgetan hatten, und das Licht zurückgebracht hatte. Dennoch blieb Metaha skeptisch.
Der dunkle Hirte wird keine Mühe haben, unsere Siedlung zu finden , dachte sie missmutig, … und jeder andere ebenfalls nicht. Unser Volk erstrahlt im hellsten Licht, während um uns herum die Welt in Dunkelheit versinkt.
Überall, wo Kallya wandelte, folgte ihr zur Verwunderung der Naiki das Licht. Berührte sie die Knospe einer Blüte, ging diese augenblicklich auf und streckte sich der Hand des Kindes entgegen. Ohnehin reagierten die Pflanzen auf das Mädchen. Blätter, Äste und Stängel wendeten sich ihr zu, ging sie an ihnen vorbei, so als ob sie durch das Licht des Kindes gespeist würden. In manchen Augenblicken dachten die Naiki, das Licht der Sonnen scheine aus dem Kind. Sie besaß eine geradezu magische Anziehungskraft auf jegliches Leben, die alles andere in ihrer Umgebung erblassen und verstummen ließ. Betrat das Mädchen einen Raum, waren sämtliche Blicke auf sie gerichtet. Kallya strahlte Wärme, Liebe und Sanftmut aus. Die Naiki hörten ihr zu, sogen jedes Wort von ihren Lippen, wenn sie sprach. Metahas ermahnende Worte im inneren Rat blieben ungehört.
»Bedenkt, Kallya ist noch ein Kind, auch wenn sie jeden von euch in ihren Bann schlägt. Sie kennt die Gefahren nicht, hat außer unserer Siedlung nichts gesehen und weist keine Erfahrungen auf. Schenkt ihr die Aufmerksamkeit, die ihr gebührt, aber nicht mehr. Vergesst nicht, dass sie lernen und wachsen muss. Lasst sie Kind sein. Die Magie muss in ihr reifen. In all ihrer Stärke ist sie doch ungezähmt. Haltet euch zurück mit der Bewunderung und, bei den Kojos, gebt ihr nicht das Gefühl, sie sei allmächtig. Wenn euch dies schwerfällt, lenkt euch ab. Sie ist ein Lesvaraq und als solches ein Kind des Lichts. Das Licht ist jedoch nicht minder gefährlich als die Dunkelheit, wenn es verdorben wird.«
Metaha musste sich von manchen Ratsmitgliedern den Vorwurf gefallen lassen, sie sei neidisch, weil Kallyas Fähigkeiten die ihren angeblich bei Weitem überstiegen. Und sie sei zuweilen zu streng zu dem Kind, wenn sie sich mühte, die Magie in dem Lesvaraq zu zügeln und in geordnete Bahnen zu lenken. Kallya sei schließlich ein Lesvaraq, musste sie sich anhören, und gewiss erfülle sie als Wiedergeborene und Erbin der magischsten und mächtigsten aller zauberbegabten Wesen bereits im zarten Kindesalter sämtliche Voraussetzungen, um den Naiki und anderen Völkern der Altvorderen zu ihren angestammten Rechten zu verhelfen und sie an die Macht über Ell zurückzuführen.
Die Hexe schüttelte nur energisch den Kopf, wenn sie derlei Reden vernahm. Die Verlockungen schier unbegrenzter Macht waren groß, das wusste sie selbst am besten, musste sie diesen doch stets auf Neue widerstehen. Und das fiel ihr beileibe in manchen Situationen nicht leicht. Sie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, das Kind vor schlechten Einflüssen zu schützen und ihm einen Weg aufzuzeigen, mit dem es seine Macht bestmöglich zum Wohle des Lichts nutzen konnte. Dabei war es ihr gleichgültig, ob sie sich bei den Naiki deswegen unbeliebt machte. In ihren Augen war es ein Fehler, das Schicksal des Volkes in die Hände eines kleinen Kindes zu legen, einzig auf seine Stärke zu vertrauen und Kallya damit zu überfordern. Wie leicht war es, diesem Drang nachzugeben und die drohende Gefahr durch den dunklen Hirten zu unterschätzen oder gar zu verdrängen. Metaha hatte sehr wohl erkannt, dass es Kallya überaus leichtgefallen war, die Dämmerung über der Siedlung und dem
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