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Kryson 04 - Das verlorene Volk

Titel: Kryson 04 - Das verlorene Volk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Rümmelein
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Berührung schmerzte. Elischa sehnte sich die Schatten herbei. Sie wollte nur noch sterben. Aber sie hatte die Bestrafung überstanden und … lebte.Ayales Blick war besorgt. Ihre schwieligen, alten Hände arbeiteten erstaunlich sanft und schnell. Elischa war übel zugerichtet worden und sie musste sich beeilen, wollte sie die Orna nicht verlieren. Vorsichtig schmierte sie eine Salbe auf die Wunden der Schwerverletzten. Die Ordensschwester hatte die Salbe selbst gemischt. Elischa zuckte bei jeder Berührung stöhnend zusammen. Sie zitterte am ganzen Leib und konnte die Tränen nicht zurückhalten. Um sie herum fühlte Elischa die Schatten, die sie vom Richtplatz bis in ihre Kammer begleitet hatten, aber wartend auf Abstand blieben.
    »Fürchte dich nicht. Die Schatten kommen nicht näher«, flüsterte Ayale, »außerdem sind sie weder deinetwegen noch meinetwegen hier. Sie warten auf die heilige Mutter. Sie wird heute noch sterben. Wenn es so weit ist, werden die Schatten die Kammer verlassen und zu Hegoria gehen. Du warst sehr tapfer, Elischa. Ich bin stolz auf dich. Du hast das Martyrium überstanden. Niemand wird dir jemals wieder auf diese Weise wehtun.«
    »Wie lange …?«, fragte Elischa mit schwacher, heiserer Stimme.
    Ayale verstand sofort, was sie meinte. Sie konnte zuweilen in den Gedanken der anderen Ordensschwestern lesen.
    »Hab Geduld. Die Salbe wird die Wunden schließen und die Schmerzen lindern. Du wirst sehen, schon in wenigen Tagen geht es dir besser. Aber gib uns drei Monde, dann wirst du wieder wie ein junges Mädchen herumspringen. Mit einem Stock als Stütze wird es noch schneller gehen. Dein Gesicht bekomme ich auch wieder hin, aber es werden Narben zurückbleiben. Die jungen Schwestern unterschätzen mich, wenn sie glauben, sie brächten mich mit den Verletzungen an meine Grenzen«, meinte Ayale.
    »Danke«, hauchte Elischa.
    »Du brauchst dich nicht bei mir zu bedanken, Kind«, sagteAyale. »Sieh zu, dass du dich schonst und schnell wieder auf die Beine kommst. Wir brauchen dich. Schon morgen wird die Wahl beginnen. Hegoria hat gewiss mit dir über ihre Pläne gesprochen. Du wirst gegen zwei der jüngeren Ordensschwestern und Reela antreten. Ich denke, Reela wird deine härteste Konkurrentin um den Stuhl der heiligen Mutter. Aber darum brauchst du dich nicht zu kümmern. Ich werde dich berufen. Für Unterstützung ist gesorgt. Sobald du wieder gesund bist, wirst du Hegorias Nachfolge antreten können.«
    Elischa schwieg. Hegoria und Ayale waren sich so sicher, dass sie gewählt würde. Sie konnte sich nicht erklären, woher sie solche Gewissheit nahmen.
    Mit einem Mal läuteten auf den Fluren die Glocken und eine Stimme rief:
    »Die heilige Mutter ist tot!«
    Elischa drehte vorsichtig ihren Kopf. Die Schatten waren aus ihrer Kammer verschwunden. Ayale hatte recht behalten, sie hatten gewartet und Hegoria in ihr Reich geholt.

    Jeden Tag kam Ayale, um nach Elischa zu sehen und ihre Wunden zu versorgen. Sie blieb immer lange an ihrem Lager sitzen, berichtete von ihren Erlebnissen der vergangenen Sonnenwenden und den Schwierigkeiten des Ordens. Sie war geduldig und einfühlsam mit der Verletzten, die anfangs kaum redete und verschlossen wirkte, obwohl sie Ayale vertraute. Sie hörte der alten Frau nur zu und erfuhr so, was ihre vordringliche Aufgabe im Orden sein würde, sollte sie tatsächlich gewählt werden. Als sich Elischa langsam wieder besser fühlte, erzählte sie Ayale, wie es ihr selbst ergangen war.
    Ayale war zutiefst betrübt, als sie die Geschichte der Magd im Hause Fallwas vernommen hatte.
    »Die Mütter der Lesvaraq mussten von jeher leiden. Niemand weiß, warum das so ist«, sagte Ayale. »Es mussschrecklich für dich gewesen sein. Aber lassen wir die Vergangenheit ruhen und blicken in die Zukunft. Die Wahl geht morgen zu Ende. Wir sollten einen Versuch unternehmen, dich auf die Beine zu stellen. Vielleicht gelingt es dir sogar, ein paar Schritte zu gehen. Ich habe dir einen passenden Stock mitgebracht, auf den du dich stützen kannst. Es ist einer von meinen und aus einem sehr seltenen Holz gemacht. In deinen Händen könnte er womöglich ganz besondere Eigenschaften entwickeln.«
    Sie zwinkerte Elischa verschmitzt zu und zeigte ihr den knorrigen Stab, der ihr selbst bis knapp unter die Achseln reichte und sehr stabil aussah. Elischa berührte das glatte, schwarze Holz mit den Fingern, das sich eigenartig warm anfühlte.
    »Donnerdorn?«, fragte Elischa ungläubig.
    »O ja«,

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