Kryson 04 - Das verlorene Volk
gefehlt, in all den Sonnenwenden, in denen er auf seinem Thron – und Raussa gleich mit ihm – fett und faul geworden war.
So manchen hilfreichen Kontakt hatte er niemals einschlafen lassen, und er wäre in der Lage, ihn ohne Schwierigkeiten wieder aufleben zu lassen. Sicher, diejenigen Geschäfte, die ihm einst den meisten Gewinn eingebracht hatten und diezugleich die gefährlichsten gewesen waren, würde er in Zukunft nicht mehr betreiben können. Sie waren tabu und würden seinem inzwischen guten Ruf schaden. Das wollte er keinesfalls mehr aufs Spiel setzen und nicht mehr Verräter genannt werden. Der Frauen- und Sklavenhandel würde sein Gewissen inzwischen zu sehr belasten, der Waffenhandel mit dem Feind war ohnehin ausgeschlossen, richtete er sich doch gegen sein Volk, und die Bluttrinker benötigten seine Blutlieferungen schon lange nicht mehr. Aber der Handel mit seltenen Kräutern, Giften, Tieren und Artefakten würde Abwechslung genug bieten und gewiss eine Menge Anunzen in seine nach wie vor vollen Beutel und Kammern spülen.
»Tja … ich werde nichts tun, was dir und den Kindern schaden könnte. Das verspreche ich«, versuchte er Raussa zu beruhigen. »Finde dich einfach damit ab. Frei von den Verlockungen der Macht und den Verpflichtungen der Regentschaft werden wir glücklich sein.«
»Es sei denn, die Rachuren dringen in dein Haus ein. Findest du nicht, dass du feige warst, als du die Regentschaft niedergelegt hast?«
»Nenn mich niemals wieder feige, Weib!«, regte sich Jafdabh über den ungeheuerlichen Vorwurf auf. »Ich habe Thezael und die Schatten aus Tut-El-Baya vertrieben und den Klan neue Hoffnung gegeben!«
»Vor den Rachuren ziehst du aber den Schwanz ein«, keifte sie.
»Verdammt, Raussa. Jetzt reicht es!« Jafdabh wurde rot im Gesicht. »Ich bin kein Krieger. Um die Rachuren zu besiegen, braucht es eine Menge mehr als mein Vermögen, Waffen und die Umsicht der vergangenen Sonnenwenden. Dafür bin ich nicht geschaffen. Madhrab kann den Feind besiegen. Nenne meine Entscheidung vorsichtig, aber nenne mich niemals feige. Ich habe das getan, was ich für die Klan für das Beste hielt,und habe dafür auf die Regentschaft verzichtet. Ein notwendiges Opfer, das erbracht werden musste. Tja … es war nicht so, dass mir der Thron und die Macht fehlen würden, aber leicht ist mir der Entschluss nicht gefallen. Wenn es dir so schwerfällt, von der Vergangenheit Abschied zu nehmen, dann bleib eben in deinem Kristallpalast. Madhrab wird dich gewiss nicht fortjagen, wie es Thezael getan hat.«
Mit diesen Worten war der Streit für ihn beendet. Jafdabhs Gefühle waren verletzt. Raussa verstand ihn offenbar nicht und hatte ihn mit ihren Worten tief getroffen. Sie konnte ihn aber nicht von seinem Vorhaben abbringen. Er würde umziehen, ob sie nun mit ihm kam oder nicht. Er drehte sich um, verließ ohne ein weiteres Wort ihre Kammer und widmete sich wieder seinen Dienern und der Ordnung seiner Habseligkeiten. Noch heute würde er an einen besseren Ort aufbrechen und den Palast verlassen. Das stimmte ihn froh. Er begann ein Lied zu pfeifen.
Madhrab brach gemeinsam mit seinen Getreuen und den Eiskriegern auf, die ausgebauten Verteidigungslinien zu begutachten und sich den Verteidigern persönlich vorzustellen. Sie hatten ihre Rüstungen angelegt und sich bewaffnet. Er war gespannt darauf, ob die Bauten seinen Vorstellungen entsprachen und dazu geeignet waren, die Rachuren aufzuhalten. Der Anführer der Eiskrieger, Baylhard, auf dessen Meinung Madhrab großen Wert legte, wurde von vier Schneetigern begleitet. Die prächtigen Tiere, die einen zufriedenen Eindruck auf Madhrab machten und offenbar vor dem Aufbruch ausreichend gefressen hatten, würden mächtig Eindruck auf die Truppen machen. Das konnte nicht schaden und würde die Moral der Soldaten steigern.
In einiger Entfernung zur Stadt begannen die Gräben, die in mondelanger schwerer Arbeit mannstief ausgehobenworden waren und sich von den östlichsten Ausläufern des Rayhin-Flusses nördlich von Tut-El-Baya bis in die südlicheren Gefilde des Fallwas-Gebietes unterhalb der fürstlichen Trutzburg zogen. Insgesamt waren zwei parallel laufende, in einer Entfernung von jeweils etwa vierhundert Fuß zueinander ausgehoben worden. In regelmäßigen Abständen waren zur Verstärkung Holzbalken an den Wänden angebracht und der Boden mit größeren flachen Steinplatten ausgelegt worden. An einigen ausgesuchten Stellen überzogen Dächer die Gräben, die
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