Kryson 04 - Das verlorene Volk
erschrak.
»Bei den Kojos, sie muss mindestens sieben oder acht Fuß groß sein«, dachte er bei sich.
Sie näherte sich ihm, ließ ihn jedoch nicht aus den Augen. Ihr Gesicht war von einer derben, grobschlächtigen Schönheit mit ausgeprägten Wangenknochen und sinnlichen Lippen. Sie überragte ihn gut und gerne um eine Kopflänge. Tomal war von ihrem Anblick fasziniert.
»Willkommen vor der zweiten Schwelle zum Reich der Schatten, Tomal«, sagte die Frau mit einer lieblichen Stimme, die nicht zu ihrem Äußeren passte, »ich bin die zweite Wächterin und habe Eure Ankunft bereits erwartet. Tarratar sagte, Ihr würdet kommen. Ihr dürft mich Daleima nennen.«
»Ich nehme an, Ihr wollt mich prüfen«, antwortete Tomal.
»So ist es«, antwortete Daleima, »und wir wollen nicht viel Zeit verlieren. Bevor ich Euch über die zweite Schwelle in die tieferen Ebenen des Schattenreiches lassen darf, müsst Ihr eine Herausforderung bewältigen. Seid Ihr bereit?«
»Wäre ich sonst hier bei Euch?«
»Wer weiß? Ich kenne Tarratar gut. Er neigt dazu, die Dinge auf seine eigene Weise voranzutreiben. Vielleicht hat er Euch die Entscheidung abgenommen?«, sagte Daleima.
»Das wäre möglich«, gab Tomal zu.
»Seht Ihr, und schon gewinnt meine Frage an Bedeutung. Seid Ihr bereit, den Weg weiterzugehen, oder wollt Ihr umkehren? Noch wäre Zeit dazu«, meinte Daleima.
»Der Gnom sagte, es gibt keinen Weg zurück.«
»Ihr dürft Tarratar nicht so nennen«, tadelte Daleima den Lesvaraq, »er ist kein Gnom. Er weiß sehr viel und seine Macht ist groß. Wenn er Euch gesagt hat, es gibt keine Umkehr, dann ist das so nicht ganz richtig. Sicher hatte er seine Gründe dafür. Ihr könnt die Prüfungen abbrechen und den Weg zurückgehen, den Ihr gekommen seid. Aber Tarratar meint es nur gut mit Euch. Schenkt seinen Worten Vertrauen. Ihr werdetkeine zweite Gelegenheit erhalten, das verlorene Volk aus den Schatten zu führen. Das ist es, was er Euch damit eigentlich sagen wollte.«
»Wie kann ich ihm vertrauen, wenn er mir nicht die Wahrheit sagt?«, fragte der Lesvaraq.
»Tarratar spricht oft in Rätseln. Hört ihm zu und lernt ihn verstehen, dann werdet Ihr sehen, dass er Euch nicht belügt.«
»Ich will es versuchen, sollte ich das Reich der Schatten je wieder verlassen und ihn noch einmal treffen. Was ist nun mit der zweiten Prüfung? Lasst uns endlich beginnen!« Tomal wurde ungeduldig.
»Ihr müsst mich überwinden«, antwortete Daleima.
»Das ist einfach. Geht zur Seite und lasst mich vorbei«, sagte Tomal.
»Nein! Besiegt mich im Kampf und Ihr dürft passieren.«
»Warum sollte ich gegen Euch kämpfen? Ich sehe keinen Sinn darin«, meinte Tomal die Stirn runzelnd.
»Das ist Eure Prüfung. Ihr dürft die Waffen wählen.«
»Ich könnte Euch in Stücke reißen, wenn ich wollte«, klang Tomal von sich überzeugt.
»Vielleicht«, lächelte Daleima selbstbewusst, »dann wird die Prüfung gewiss keine Herausforderung für Euch sein. Dennoch werdet Ihr sie angehen und bestehen müssen, wollt Ihr die Suche fortsetzen. Übrigens … Eure Magie ist nutzlos gegen mich. Die Waffen?«
»Ich habe Euch gewarnt. Ihr habt es nicht anders gewollt«, erwiderte Tomal, »ich wähle das Schwert oder seid Ihr auch im Besitz eines Galwaas? Das könnte die Angelegenheit beschleunigen.«
»Nein, Euer Galwaas ist mir nicht vertraut. Aber ich trete gerne mit dem Schattenschwert gegen Euch an. Eine gute Wahl.«
Daleimas Schwert war Tomal sofort aufgefallen, als erdie Arena betreten hatte. Die sehr große Klinge schimmerte schwarz und sah aus, als befände sie sich fortwährend in Bewegung. Er hatte von solchen Waffen gehört, die mit den Schatten in Verbindung standen. Sie waren höchst selten und es war kein Vergnügen, gegen sie zu kämpfen. Es hieß, eine kleine Wunde – von einer solchen Waffe geschlagen – genüge, um den Weg zu den Schatten anzutreten. Aber was hatte er zu befürchten? Er befand sich doch ohnehin in ihrem Reich.
»Euer zweiter Tod steht Euch bevor«, sagte Daleima, »in den tieferen Ebenen herrscht Vergessenheit. Dort befinden sich die Seelen der schon vor langer Zeit Verstorbenen. Lasst uns beginnen!«
Tomal zog Iskrascheer aus der Scheide und nahm seine Verteidigungsstellung ein. Er wollte Daleima kommen und ihr den ersten Schlag lassen, damit er die Technik der Wächterin besser einschätzen konnte. Aus dem Augenwinkel beobachtete er, wie sich die Zuschauerränge mit Schatten füllten. Das Duell erregte offenbar
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