Kryson 04 - Das verlorene Volk
auf. Er ließ sich den Schädel jeden Morgen kahl rasieren. Ganz im Gegensatz dazu stand sein kräftiger Bartwuchs. Einen Großteil seines schönen Gesichts versteckte er hinter einem wild wuchernden, dichten und inzwischen gänzlich ergrauten Vollbart. Die restliche Haut war tief gebräunt und von Wind und Wetter gegerbt, was seine grünen Augen besonders betonte. Tiefe Furchen zogen sich über die Stirn und die fein gezeichneten, alten Züge gaben ihm ein Aussehen, das von Weisheit zeugte. Seine Kleidung bestand aus dunkelgrün gefärbter Wolle und bis zu den Stiefeln aus leichten ledernen Rüstungsteilen. Offensichtlich verbrachte er viel Zeit in den Wäldernund erinnerte vielmehr an einen Jäger als an einen General der Leibgarde des Regenten oder gar an einen Fürsten.
Drolatol war Vater von acht Kindern, die er mit drei Frauen gezeugt hatte. Und er liebte sie alle. Die Frauen ebenso wie seine Kinder. Sie lebten alle zusammen unter einem Dach. Und wer angenommen hatte, die Frauen wären untereinander eifersüchtig und zankten sich um des Fürsten Nähe oder um den ersten Platz an seiner Seite, der täuschte sich gewaltig. Sie bildeten eine Einheit untereinander, die sich zuweilen in all ihrer Stärke und Verbundenheit gegen den Fürsten selbst richten konnte.
In solchen Momenten zog es Drolatol für längere Zeit entweder in die Natur oder zu seinen Pferden. Er durfte die wohl besten Stallungen auf Ell sein Eigen nennen, die neben seinen Kindern sein größter Stolz waren.
Nachdem die Freunde von Darfas in Empfang genommen worden waren, ihre Kammern bezogen, sich gewaschen, die Kleidung gewechselt hatten und mit einer Mahlzeit versorgt worden waren, begegneten sie sich auf dem Weg in die Halle des Regenten. Es war einige Zeit vergangen, seit sie sich zuletzt gesehen hatten.
»Renlasol!«, begrüßte Drolatol freudestrahlend den alten Gefährten, mit dem ihn eine tiefe Freundschaft seit den gemeinsamen Jugendtagen bei den Sonnenreitern verband. »Du siehst gut aus. Wie ist es dir ergangen?«
Die beiden umarmten sich. Renlasol mochte den Pferdegeruch an der Kleidung Drolatols, den er, seit sie sich kannten, niemals abgelegt hatte. Es erinnerte ihn an eine glückliche, wenn auch nicht gänzlich unbeschwerte Zeit.
»Schön, dich zu sehen, Drolatol«, antwortete Renlasol mit sonorer Stimme, »ich habe dich vermisst. Zwei Sonnenwenden sind lang ohne einen guten Freund an der Seite.«
»Ja, du hast recht«, sagte Drolatol, »mir erging es kaumanders. Wir sollten darauf achten, unsere Anstrengungen für Jafdabh und die Sicherheit der Klanlande künftig gemeinsam zu unternehmen. Wir könnten die Truppen zusammenlegen.«
»Das wäre eine Möglichkeit«, antwortete Renlasol. »Hattest du Berührung mit den Rachuren?«
»Zum Glück nicht. Aber wir haben einige Flüchtlinge aufgenommen, die völlig verängstigt waren und von einer Armee des Schreckens erzählten. Geflügelte Monster und Todsänger, die von den Schatten begleitet werden. Der Name Grimmgour wurde mehrfach genannt. Ich wollte kaum glauben, was ich zu hören bekam. Jedenfalls klang es nicht danach, als ob ich mir eine Begegnung mit dem Feind in nächster Zeit wünschen würde.«
»Denkst du, die Rachuren stellen erneut eine Gefahr für die Klanlande dar?« fragte Renlasol nachdenklich.
»Ich weiß es nicht«, sagte Drolatol, »aber lass uns die Erfahrungen mit Jafdabh teilen. Du hast bestimmt auch das ein oder andere zu berichten. Danach werden wir entscheiden, was zu tun ist.«
»Gut. Jafdabh wird uns gewiss schon ungeduldig erwarten. Lass uns gehen«, schlug Renlasol vor.
Gemeinsam machten sie sich auf den Weg zum Regenten.
Als sie die Halle betreten und Jafdabh in seinen zu engen Thron gezwängt erblickt hatten, tauschten sie doch einige überraschte Blicke aus. Die beiden Freunde verstanden einander auch ohne Worte.
Jafdabhs Erscheinung sprengte im wahrsten Sinne des Wortes all ihre Erwartungen. Wie konnte ein Klan in wenigen Sonnenwenden nur so viel an Gewicht und Körperfülle zulegen, wie es bei Jafdabh ganz offensichtlich der Fall war. Ihre Augen und die Überraschung wurden jedoch noch viel größer, als die Regentin, auf eine wunderschön und kunstvoll geschnitzte Krücke gestützt, hinter Jafdabh die Halle betratund mit einem Bein mehr hüpfend als laufend geradewegs auf ihren Sitz zusteuerte. Der kurze Weg von der Tür zu ihrem Thron musste bei ihren Ausmaßen eine enorme Leistung und Anstrengung erfordern. Schweißgebadet, ächzend
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