Kryson 05 - Das Buch der Macht
zu, Nalkaar«, verlangte Tomal, »von Euch und den Rachuren will ich nichts. Meinetwegen zieht mit Eurem Heer weiter, wohin Ihr wollt. Das ist ohne Bedeutung für meine Pläne. Also hütet Eure Zunge oder ich schneide sie Euch heraus. Überlasst mir nur Madhrab für ein Gespräch. Vater und Sohn sollten sich unterhalten.«
»Das kann ich nicht«, erwiderte Nalkaar, »Madhrab ist ein wichtiger Teil meiner Komposition. Öffnet Eure Lippen, Madhrab, zeigt dem Lesvaraq, dass Ihr ein Todsänger geworden seid.«
Madhrab öffnete den Mund weit und gewährte dem entsetzten Lesvaraq einen Blick auf seine schwarze Stummelzunge.
»Ihr habt ihn gewandelt«, rief Tomal empört.
»Seine Seele gehört nun mir«, antwortete Nalkaar, »es tut mir leid, aber ich kann ihn Euch nicht mehr überlassen.«
»Gebt ihm seine Seele zurück«, forderte Tomal, »sofort.«
»Das geht nicht«, zuckte Nalkaar mit den Schultern, »sie ist verloren.«
»Wo ist sie?«
»Ich habe sie gefressen«, Nalkaar klang aufgebracht.
»Dann spuckt sie wieder aus. Ihr werdet die Wandlung rückgängig machen!«, der Lesvaraq kochte vor Wut.
»Das steht nicht in meiner Macht, Tomal«, der Todsänger klang fast betrübt.
»In wessen Macht steht das dann?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht in der der Kojos oder der Flammen der Pein oder … des Nichts. Dort könnte sie hingegangen sein, nachdem ich sie gefressen habe.«
»Ich kann sehen, wovor Ihr Euch am meisten fürchtet«, veränderte Tomal plötzlich seinen Tonfall. Er wurde sehr leise und bedrohlich.
»Ach ja?«, ein Zittern lag in Nalkaars Stimme.
»Wollt Ihr einen kurzen Blick darauf werfen?«, fragte Tomal.
Der Lesvaraq breitete seine Arme aus und zeichnete mit kreisenden Bewegungen Bilder in die Luft. Er erschuf Illusionen. Flammen tanzten wie Schatten durch die Bilder. Sie kreischten, züngelten und freuten sich bereits auf ihr Opfer.
Die Illusionen verfehlten ihre Wirkung nicht. Nalkaar wich furchtsam mehrere Schritte zurück, als er die Bilder sah, die ihn in den Flammen der Pein zeigten. Der Todsänger konnte die Schmerzen geradezu spüren, die ihm einst durch Rajurus Wirken in den Flammen der Pein zugefügt worden waren. Er verbrannte, verging im Feuer, stand wieder auf und verbrannte erneut, bis er nicht mehr wusste, wer er war.
»Hört auf damit«, schrie Nalkaar verzweifelt, während er versuchte, seine Augen vor den Bildern des Lesvaraq zu schützen.
Der Lesvaraq ließ die Arme sinken. Ihm war nicht entgangen, dass ihn der Flötenspieler mit aufgerissenem Mund und Augen wie ehrfürchtig beobachtet hatte. Der Blick verwirrte den Lesvaraq. Tomal konnte fühlen, dass hinter dem unscheinbaren Gesicht mehr stecken musste als nur ein Gaukler oder Musikant. Gewiss verbarg der Flötenspieler ein Geheimnis.
Obwohl Tomal nicht wusste, was es war, sah er das Besondere in ihm, als sich in Madsicks Augen die Flammen und Schatten widerspiegelten, die Tomal in seiner Illusion des Grauens hervorgerufen hatte. Der Flötenspieler schien durch die Bilder hindurch bis tief in das Reich der Schatten hineinzusehen.
Tomal entdeckte in diesen Augen die schreckliche Wirklichkeit des Schattenreiches. Er erschrak. Obwohl er selbst inden Schatten gewesen war, hatte er offenbar nicht alles gesehen. Der Flötenspieler hingegen hatte anscheinend eine besondere Verbindung zu den Schatten und den Flammen der Pein. Die Bilder erstarben.
»Ihr wisst, was ich von Euch erwarte«, wandte sich Tomal an Nalkaar.
»Wir sollen abrücken und unseren Feldzug aufgeben«, stellte Nalkaar nüchtern fest.
»Ihr habt mich falsch verstanden«, sagte der Lesvaraq, »die Eroberung der Klanlande interessiert mich nicht, das sagte ich bereits. Aber Ihr werdet Eure Finger von den Ordenshäusern und Eisbergen lassen. Das rate ich Euch. Überlasst Madhrab mir, dann lasse ich Euch ziehen.«
»Ihr sollt ihn haben«, gab Nalkaar schließlich klein bei, dem anscheinend der Schrecken angesichts der Flammen der Pein noch in den vergilbten Knochen steckte, »wir ziehen uns zurück.«
»Ich hätte nicht gedacht, dass Ihr so schnell aufgebt, Todsänger«, meinte Tomal beinahe enttäuscht, »ich wollte Euch meine Macht zeigen.«
»Spart Euch die Kräfte für unsere letzte Begegnung, Lesvaraq«, sagte Nalkaar, »wir sehen uns wieder. Das verspreche ich Euch.«
Tomal hatte schon seit Wochen das Gefühl vermisst, sich von der Macht umgarnen zu lassen und ihre ungeheuere Wucht in sich zu spüren. Er wollte sie mit Händen greifen und lenken.
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