Kryson 05 - Das Buch der Macht
gewesen. Unser Bewusstsein und all das Wissen, das wir gesammelt haben, vergehen mit uns.«
»Das ist eine schreckliche Vorstellung«, erwiderte Daleima besorgt.
»Nein«, antwortete Tarratar, »es ist nur ein Gedanke und die Sorge, all die Mühen und die Zeit könnten umsonst gewesen sein. Die Angst vor dem Nichts und der Bedeutungslosigkeit unseres Seins. Das ist nur eine Alternative, die wir im Augenblick nicht begreifen können und wollen. Dennoch ist sie möglich. Der Lauf der Zeit bis zur Ewigkeit liegt nicht in unseren Händen. Wir können nicht voraussagen, was in ferner Zukunft sein wird. Aber wir dürfen uns nicht gegen eine Veränderung stellen, die das Buch und das Gleichgewicht wollen.«
»Ich finde die Vorstellung gar nicht so übel«, meldete sich der Herr der Grube zu Wort, »bis zum Ende aller Tage gefangen in der Grube, ernähre ich mich von den Gedanken desBösen. Die Auslöschung des Buches könnte meine Erlösung von diesem Schicksal bedeuten.«
»Ts, ts, ts … ein verlockender Gedanke für einen Gedankenschinder, nicht wahr?«, meinte Tarratar kopfschüttelnd, »die Betonung liegt auf dem Wort könnte. Das muss nicht sein, und das weißt du genau.«
»Aber wozu soll die Grube dienen, wenn nicht als Versteck für das Buch?«, widersprach der Gedankenschinder.
»Dich als Gefangenen zu binden und deine Boshaftigkeit von der Welt dort draußen abzuhalten«, lächelte Tarratar. »Ich kann mir wenig Schrecklicheres vorstellen als einen aus der Grube befreiten Gedankenschinder, der Kryson mit seinem Schmutz überziehen und unterjochen wollte.«
»Wie immer sehr freundlich, Tarratar«, ärgerte sich der Herr der Grube, »aber natürlich sind die Taten und Spiele eines verrückten Narren überall erwünscht.«
»Ich will mich nicht mit dir streiten«, sagte Tarratar, »aber dir ist wohl bekannt, worin meine Aufgabe über all die Zeit bestand und welches Wissen ich bis heute gesammelt und aufgeschrieben habe. Die Last dieses Wissens trage ich alleine.«
»Schon gut, schon gut. Ich weiß«, seufzte der Herr der Grube, »ich will mich auch nicht beschweren und habe mich, wenn auch nur mühsam, im Lauf der Sonnenwenden an das Leben in der Grube gewöhnt. Schreib von mir aus in das Buch, was du willst. Wir werden sehen, was geschieht.«
»Tarratar«, Daleima sah den Narren mit großen Augen besorgt an, »bist du dir sicher?«
»Sicher? Wir werden niemals Gewissheit erlangen. Zu wandelbar und unbeständig sind Zeit und Gleichgewicht. Ich glaube, wir müssen es tun und die Entscheidung dem Buch der Macht überlassen«, nickte Tarratar.
Schweren Herzens kehrte Tarratar zu Renlasol zurück und blickte den Fürsten lange stumm und mit ernster Miene an,als wollte er ihn von seinem Wunsch abbringen. Schließlich zuckte er mit den Schultern, seufzte und schrieb mit zittriger Hand einige Zeilen in das Buch.
Kaum hatte er das letzte Wort verfasst, verschwand das Buch vor seinen und Renlasols Augen. Der Narr konnte es nicht glauben. Das Buch der Macht hatte sich in nichts aufgelöst. Dennoch beschlich ihn ein eigenartiges Gefühl. Außer dem Verschwinden des Buches hatte sich nichts geändert. Sie befanden sich noch immer in der Grube. Renlasol sah ihn fragend an.
»Das Buch ist weg«, stellte der Fürst trocken fest.
»Was für eine selten dämliche Bemerkung«, dachte Tarratar bei sich, ohne seine Gedanken gegenüber Renlasol offen auszusprechen.
»Das sehe ich auch«, antwortete der Narr stattdessen ungehalten.
»Und was bedeutet das?«, wollte Renlasol wissen.
»Woher soll ich das wissen? Das kann alles und wiederum nichts bedeuten. Vielleicht ist es eine Katastrophe, deren Auswirkung wir erst viel später sehen, oder es bleibt alles beim Alten, nur eben ohne das Buch.«
»Habe ich die Prüfung bestanden?«
Tarratar brach auf die Frage des Fürsten plötzlich in schallendes Gelächter aus, bis ihm die Tränen über die Wangen liefen und die salzigen Tropfen seinen Bart benetzten.
»Ihr fragt mich ernsthaft nach einem Bestehen der Prüfung? Das Buch der Macht ist verschwunden, wie Ihr doch gerade selbst mit messerscharfem Verstand festgestellt habt. Niemand der Streiter hat die Prüfung bestanden, solange das Buch nicht gefunden wurde und sich einen würdigen Besitzer ausgesucht hat«, erklärte Tarratar am Rande der Verzweiflung. »Aber ich überlasse Euch angesichts dieses Verlaufs gerne die beiden Schlüssel zur Macht, solltet Ihr das Buch eines Tages wiederfinden.«
Der Narr reichte dem
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