Kryson 06 - Tag und Nacht
brechen?«
»Nein, das werde ich nicht. Ich erfülle meine Pflicht«, seufzte Yilassa. »Du musst wissen, etwas stimmt nicht in den Ordenshäusern. Ich habe die Bedrohung meines Ordens in Gedanken gesehen. Das Ende beider Orden. Unser Band ist stark, die Brüder und Schwestern schicken mir Nachrichten und Hilferufe. Es gab bereits viele tote Schwestern und Brüder. Sie brauchen mich. Es ist eigenartig, aber ich sehe es klar in meinen Gedanken vor mir. Ein Angriff auf die Mauern der Ordenshäuser wurde zwar abgewehrt, aber dahinter steckt mehr. Ich habe ständig das Gefühl, Schwestern der Orna töten zu müssen.«
»Das ist eine beängstigende Vorstellung«, meinte Renlasol, »was hast du noch gesehen?«
»Meinen Tod.«
Renlasol senkte den Kopf und sah für einen Moment auf den Boden, um sich zu sammeln. Yilassas Worte bereiteten ihm große Sorgen. Ein schwerer Seufzer füllte den Raum, als sich Renlasol wieder aufrichtete und Yilassa lange schweigend in die Augen blickte.
»Gehst du zurück, wirst du sterben«, sagte Renlasol leise.
»Ja«, antwortete Yilassa, »ich und all die anderen Sonnenreiter, Bewahrer und Orna. Niemand wird überleben. Ich weiß es. Es ist das Ende der Orden. Die Artefakte wurden gestohlen. Ginge ich nicht und stünde meinen Brüdern und Schwestern in den letzten Horas nicht bei, werden sie mich suchen und finden. Sie töten mich, bevor sie sich selbst das Leben nehmen. Das ist sicher. Ich darf nicht bei dir bleiben, Renlasol. Das brächte dich und alles, was wir uns vorgestellt haben, in Gefahr. Es wäre auch dein Ende.«
»So habe ich mir unsere gemeinsame Zukunft als Bluttrinker nicht vorgestellt«, seufzte Renlasol.
»Ich auch nicht«, antwortete Yilassa, »das musst du mir glauben. Es tut mir aufrichtig leid. All unsere Träume und Hoffnungen zerplatzen.«
»Dann geh!«, sagte Renlasol und drehte sich weg.
Renlasol konnte Yilassas Anblick nicht länger ertragen. Die Enttäuschung saß tief und war ihm deutlich anzusehen. Er hatte Tränen in den Augen.
Was er Yilassa allerdings verschwiegen hatte, war seine Befürchtung, die Suche nach dem Buch könnte auch seine letzte Reise sein. Eine Vorahnung, die ihn schon, seit er den Ruf vernommen hatte, bedrückte. Obwohl er mit seinem Tod rechnete, ließ er Yilassa über seine Gefühle im Ungewissen. Er wollte sie nicht damit belasten. Es war schon schwierig genug, den eigenen Tod vorauszuahnen und damit umzugehen.
Yilassa nahm ihr Bündel und ging.
Sie rief ihm noch »Leb wohl und viel Glück« zu, aber Renlasol schwieg und drehte sich nicht mehr um, ihr nachzusehen oder sich zu verabschieden. Sie hatten keine gemeinsame Zukunft. Das Schicksal hatte es nicht gut mit ihnen gemeint.
Renlasol blieb noch eine Weile alleine in der Höhle, bevor er sein Bündel packte und sich auf die lange Reise nach Kartak machte. Er wählte eine Route entlang der Küste des Ostmeers, allerdings abseits der größeren Siedlungen, Burgen und Städte. In den kleineren Dörfern und Gehöften würde er während der Nacht bestimmt Nahrung finden. Er konnte keine Rücksicht darauf nehmen, was aus seinen Opfern werden würde, hatte er erst ihr Blut getrunken. Bluttrinker oder Kriecher. Es war ihm gleichgültig.
Ganz in der Nähe der Höhle, in die sich Renlasol und Yilassa geflüchtet und wo sie sich kurz darauf wieder getrennt hatten, befand sich inmitten des Riesengebirges die Burg der Felsgeborenen, die einst Quadalkar mit seinen Kindern besetzt hatte.
Prinz Vargnar hatte seinen Vater, König Saragar, lange nicht mehr gesehen. Die meiste Zeit war Vargnar auf Reisen gewesen und sie hatten sich nur über die Steine Nachrichten zukommen lassen. In der Halle des Königs waren sie gleich nach ihrer Ankunft auf der Burg zu einer Unterredung mit Saragar geladen worden. Die Freude über das Wiedersehen war groß und Saragar ließ es sich nicht nehmen, ein Fest zu Ehren seines Sohnes auszurichten.
»Es wird Zeit, dass du dir eine Eisprinzessin aussuchst und sesshaft wirst«, meinte Saragar ernst.
»Was soll ich mit einer Eisprinzessin anfangen, Vater?«, lehnte Vargnar ab. »Sie sind kalt und herzlos. Sollte ich mich eines Tages für eine Frau entscheiden, wähle ich eine Felsgeborene. Vielleicht eine aus dem Süden. Was denkst du darüber?«
»Sei nicht dumm, Sohn. Und vergiss nicht, du hast auch nur ein Herz aus Stein«, tadelte ihn der König. »Die Eisprinzessinnen können dir großes Vergnügen bereiten. Ich schätze ihre Liebeskünste sehr. Das prickelt
Weitere Kostenlose Bücher