Kryson 06 - Tag und Nacht
seine Stimme gut, sollten wir ihn aufnehmen«, schlug Murhab vor.
»Seine Stimme ist gut«, antwortete Nalkaar, »aber er weigert sich, mir zu dienen.«
»Im Augenblick weigert er sich«, warf Murhab ein, »aber sobald er gewandelt wurde, wird er Euch treu ergeben sein. Wie wir alle. Auch wir waren einst Feinde, falls Ihr Euch erinnert. Er hat doch keine Wahl, sobald Ihr über seine Seele gebietet.«
»Das ist richtig«, sagte Nalkaar, »dennoch … er ist ein Rachure. Das ist etwas anderes. Ich wandle ihn nur, wenn er mir aus freien Stücken folgt.«
»Das werde ich niemals«, rief der Bote, »lieber sterbe ich, als untot und verrottend über Ell zu wandeln und um die Seelen anderer zu singen.«
»Bedauerlich, aber dann werden wir wohl ein anderes Lied für Euch singen müssen. Ein Lied der Schatten und der Flammen«, meinte Nalkaar. »Madsick, gibst du den Takt und den Ton vor?«
Madsick nickte, hob die Flöte an seine Lippen und tippte mit dem Fuß einen langsamen Takt. Wie gebannt starrte der Bote auf den Flötenspieler. Die ersten Töne waren leise, fühlten sich warm und harmonisch an. Nalkaar war zufrieden. Madsick wusste genau, was er wollte. Es dauerte nicht lange und Nalkaar fiel mit seiner Stimme in das Lied ein.
Feuer und Schatten
im wilden Tanz
der Flammen Glanz.
Sie begehren dich.
Sie verzehren dich.
Feuer und Schatten
in ewigem Schmerz
der Flammen Herz.
Sie reinigen dich.
Sie peinigen dich.
Feuer und Schatten
in dunkler Not
der Flammentod.
Schuld und Sühne.
Feuer und Schatten im wilden Tanz.
Der Bote konnte sich dem Gesang Nalkaars nicht entziehen, dessen Stimme von Murhab in den tieferen Tonlagen unterstützt und verstärkt wurde. Er stand regungslos, mit offenem Mund und mit weit aufgerissenen Augen in Nalkaars Zelt und lauschte den Klängen der Todsänger und des Flötenspielers.
Je länger der Gesang andauerte, desto dunkler wurde es im Zelt. Es schien gerade so, als ob die Umgebung verschwimme und sich ein Portal in eine andere Welt öffnen würde. Graue Nebelschwaden waberten in das Zelt und umgarnten die Anwesenden. Während er weitersang, verfolgte Nalkaar den dichter werdenden Nebel aufmerksam. Er wusste genau, dass sich die Schatten darin verbargen und bald nach dem Boten greifen würden. Ein seltsamer Glanz trat in seine milchig trüben, toten Augen, als er die ersten Schatten erblickte. Kreischend und bedrohlich zischend griffen sie bereits nach dem Boten. Aber irgendetwas stimmte nicht. Die Schatten verhielten sich anders als sonst. Sie waren wütend und aggressiver. Ihr Widerstand gegen den Gesang war deutlich spürbar.
Aber die Schatten mussten Nalkaars Gesang gehorchen, sie konnten sich ihm nicht widersetzen oder ihn angreifen. Er war ein Todsänger und Schattenbeschwörer. Nalkaar wollte nicht glauben, dass sie gegen ihn aufbegehrten. Dennoch kamen sie Nalkaar zu nahe und sprühten ihm ihren Hass entgegen. Er musste achtgeben, dass sie ihn nicht berührten, und wich einen Schritt zurück, ohne seine Stimme zu senken.
Das Flötenspiel verstummte. Überrascht drehte Nalkaar den Kopf und musste entsetzt entdecken, dass sich die Schatten nicht nur auf den Boten, sondern auch auf Madsick gestürzt hatten.
»Zurück! Zurück mit Euch!«, rief Nalkaar den Schatten aufgebracht zu.
Die Schatten ließen jedoch nicht von Madsick ab. Madsicks Augen waren verdreht vor Furcht. Nur noch das Weiße war darin zu sehen. Der Flötenspieler schrie und wand sich unter den eisigen Griffen der Schatten.
Nalkaar wusste, dass die Schatten lange auf diese Gelegenheit gewartet hatten, weil er sie immer wieder vertrieben hatte, um Madsick vor ihrem Zugriff zu schützen. Insgeheim hatte der Todsänger immer schon gewusst, warum die Schatten Madsick unbedingt haben wollten. Madsick gehörte nicht in diese Welt. Der Gesang des Todsängers hatte keine Wirkung auf den Flötenspieler. Nicht wie auf andere.
»Er ist ein Schattenwesen, ein Seelenloser, den Schatten entsprungen und aus ihrem Reich geflohen. Der Herr der Grube half ihm und beherrscht ihn. Seine Gedanken gehören dem Gedankenschinder. Mit seiner Hilfe will der Herr der Grube die Schatten befreien. Ein boshafter und höchst gefährlicher Plan«
, dachte Nalkaar.
Aber weshalb gehorchten die Schatten Nalkaar nicht mehr? Nalkaar hatte doch Macht über sie. Sein Gesang war unwiderstehlich, dachte der Todsänger.
»Murhab! Hilf mir«, rief Nalkaar. »Ein Lied, die Schatten zu besänftigen und Madsick vor ihnen zu schützen.«
Doch
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