Kryson 06 - Tag und Nacht
will es gar nicht mehr.«
Sapius schüttelte den Kopf. Er war noch nicht zufrieden mit der Antwort seines Schülers, aber er wusste auch, viel mehr als diesen Schwur würde er ihm nicht abverlangen können. Er würde Kaschta vertrauen müssen.
»Du willst, das weiß ich genau«, behauptete Sapius, »es wird dich Kraft und Überwindung kosten, es nicht zu tun. Aber ich will mich mit deinem Schwur zufriedengeben und dir vertrauen. Beschütze das Buch notfalls mit deinem Leben. Ich habe zwar einige Vorkehrungen getroffen, damit es nicht entwendet werden kann. Aber man kann nie wissen. Es darf nicht in die falschen Hände geraten.«
»Ich werde über deine Schätze wachen«, antwortete Kaschta.
»Du bist ein guter Junge. Ich weiß, dass du das tun wirst. Aber ich muss dich warnen. Wer immer auch nach dem Besitz des Buches strebt, ist einfallsreich, stark und im Zweifel auch mächtig. Lass dich nicht täuschen. Du weißt, wie du mich oder den ersten Wächter rufen kannst.«
»Tarratar? Der Narr mit der Kappe und den Glöckchen?«
»Genau den meine ich. Der Narr wird dir helfen, wenn es darauf ankommt und das Buch in Gefahr sein sollte«, antwortete Sapius.
Sapius wusste, der Narr würde auftauchen, sobald er auch nur einen Hauch der Gefahr für das Buch witterte. Kaschta würde ihn nicht rufen müssen. Aber sicher war sicher.
Der Magier widmete sich wieder seinen Reisevorbereitungen und packte Proviant in sein Bündel. Käse, Speck, Trockenfleisch, Obst, Gemüse und Brot. Seinen Trinkschlauch füllte er mit frischem Quellwasser aus dem Brunnen hinter seiner Hütte.
Als er sich umdrehte, um in die Hütte zurückzugehen, stand der kleine Narr mit seiner Flickenkappe vor ihm und sah ihn mit einem schiefen Grinsen an. Sapius zuckte zusammen und hätte vor Schreck beinahe seinen Trinkschlauch fallen lassen, so plötzlich war Tarratar wie aus dem Nichts aufgetaucht.
»Als hätte er unser Gespräch belauscht«
, dachte Sapius verärgert,
»der Narr muss seine Augen und Ohren wirklich überall haben.«
»Hoi, hoi, hoi … Sapius, Ihr freut Euch gar nicht, mich zu sehen?«, begrüßte Tarratar den Magier mit einem verschmitzten Lächeln.
»Doch … es ist nur, Ihr habt Euch unbemerkt angeschlichen und mich überrascht«, beklagte sich Sapius.
»Oh … das tut mir leid. Ich wollte nicht … aber Ihr werdet wohl alt. Eure Sinne sind nicht mehr die Besten.«
»Mit meinen Sinnen ist alles in Ordnung«, maulte Sapius, »ich bin trotz der vielen Sonnenwenden kaum gealtert. Was wollt Ihr?«
»Ein Stück Kuchen, etwas zu trinken vielleicht? Eure Gastfreundschaft?«, antwortete Tarratar frech.
»Geht in die Hütte, Kaschta wird Euch sicher etwas auf den Tisch stellen. Ich habe keine Zeit für Euch.« Sapius’ Ärger war noch nicht ganz verflogen.
Der Magier mochte den Narr inzwischen durchaus gut leiden, auch wenn er ihn nach all den Sonnenwenden noch immer nicht vollständig durchschaute und seine gelegentlichen Spiele überhaupt nicht schätzte. Irgendwie hatte er sich im Lauf der Zeit dennoch an Tarratar gewöhnt. Er vertraute ihm wieder halbwegs und sie waren sogar Freunde geworden. Es war eine eigenartige Beziehung. Obwohl Sapius immer das Gefühl hatte, dass ihn Tarratar betrogen hatte und weiter schamlos betrügen würde, wenn es dem Narren und dem Buch nur irgendwie nutzte, konnte er ihm deshalb nicht mehr böse sein. Sein Vertrauen wurde dadurch nicht beeinträchtigt. Sapius hatte längst verstanden, dass es Tarratar immer nur um das große Ganze ging. Die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts. Tag und Nacht.
»Ihr seid am Packen?«, wollte Tarratar wissen.
»Ja, habt Ihr das auch schon bemerkt«, antwortete Sapius gereizt.
»Wohin soll die Reise denn gehen?«, hakte der Narr nach.
»Zum Berg des Propheten«, sagte Sapius, »und zu den Tartyk.«
»Nach Nikknar?« Tarratar musste lachen. »Sagt bloß, Ihr wollt Euch wieder mit den Propheten und Sehern treffen?«
»Das hatte ich vor, warum lacht Ihr?«
»Ach Sapius, wir haben uns doch schon einmal darüber unterhalten«, erklärte Tarratar, »das sind alles nur Scharlatane. Betrüger. Keiner von ihnen kennt die Zukunft und kann sie sicher voraussagen. Was erhofft Ihr Euch davon?«
»Ich denke, zwei oder drei der Propheten sind durchaus in der Lage zu sehen, was anderen verborgen bleibt. Es lohnt sich immer, mit ihnen zu reden, und sei es nur ihrer Gedanken wegen«, meinte Sapius.
»Kommt schon, Sapius. Wer soll das sein? Ich kenne keinen, dem Ihr nicht in
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