Kryson 06 - Tag und Nacht
konnte er sich auf seine Getreuen verlassen, die ihm diese Bürde sicher gerne abnahmen, dachte Nalkaar. Ihm gehörten ihre Seelen. Er beherrschte sie vollkommen.
Aber er würde Murhab nicht die volle Aufmerksamkeit widmen können, die ihm auf seiner gefährlichen Suche durch das Reich der Schatten gebührte. Gewiss, Madsick war ein wichtiger Baustein für das Gelingen seiner Komposition. Er brauchte ihn und sein virtuoses Flötenspiel, um den perfekten, makellosen Gesang vorzutragen. Aber konnte er sich das Warten auf Murhabs Rückkehr überhaupt leisten? Der Erfolg seiner Mission im Schattenreich war mehr als ungewiss. Madsick konnte längst verloren sein. Es war schon schmerzlich genug, für die Suche nach dem Flötenspieler einen seiner besten Todsänger opfern zu müssen.
Die Botschaft aus Krawahta war beunruhigend. Der Todsänger wusste, dass er sich eigentlich schnellstmöglich darum kümmern und die Ordnung in der Hauptstadt wiederherstellen musste. Seine Ordnung. Die Herrschaft der Todsänger.
Je länger er der Hauptstadt der Rachuren fernblieb, desto eher würden sich die neuen Machtverhältnisse verfestigen. Das war nicht gut. Sollte das Heer der Rachuren von dem Umsturz und Rajurus Tod erfahren, würde er die Truppen nicht mehr zusammenhalten können. Nalkaar konnte nur darauf hoffen, dass sich die Botschaft nicht auf andere Weise unter den Kriegern verbreitete.
Denn dann würde das Heer auseinanderfallen und sich in alle Richtungen zerstreuen. Seine Eroberungspläne wären dahin. Er brauchte den Rückhalt der Rachuren und ihrer Chimären, um vollends an die Macht zu gelangen. Raymour und Zanmour waren ihm ein Dorn im Auge. Wie hatten sie es nur wagen können, sich gegen Rajuru zu erheben? Und wie hatten sie zu allem Überfluss noch die Dreistigkeit besitzen können, die Herrscherin zu besiegen? Diese Aufgabe wäre alleine ihm zugefallen, wenn er im Triumph nach Krawahta zurückgekehrt wäre.
Seine ihm treu ergebenen Todsänger waren ihm zwar eine große Hilfe, würden zur Verwirklichung seiner Pläne jedoch nicht ausreichen. Er musste die Soldaten im Unklaren lassen und zusammenhalten. Sein Ziel lag zum Greifen nah. Er musste nur mit dem Heer zu den Ordenshäusern der Sonnenreiter und Orna marschieren und es sich nehmen. Mit Madsick oder ohne den Flötenspieler. Nalkaar durfte keine Zeit mehr verlieren.
»Wir brechen das Lager ab und ziehen sofort gegen die Ordenshäuser«
, dachte Nalkaar bei sich,
»danach geht es ohne Aufenthalt weiter nach Eisbergen. Bis das Heer von den neuen Machtverhältnissen erfährt, sind wir längst auf dem Rückweg nach Krawahta, Raymour und Zanmour zu stürzen.«
Nalkaar trat vor das Zelt, rief seine Heerführer zu sich und ließ zum Aufbruch blasen. Nach wenigen Horas marschierte das Heer unter der Führung des Todsängers weiter nach Norden.
Nebel des Vergessens
E r wusste nicht wer, was oder wo er war. Madhrab hatte alles vergessen und sich selbst verloren. Jedes Gefühl für Zeit und Raum war in den Qualen untergegangen. Wie lange war er schon hier? Es gab nur die Flammen und den Schmerz. Eine ewig dauernde Tortur. Seine eigenen Schreie hörte er schon lange nicht mehr. Wie oft war er zu Asche verbrannt und gleich darauf im Feuer wieder auferstanden? Hatte es je etwas anderes gegeben als den Schmerz? Er konnte sich nicht daran erinnern. Er war ein Verlorener. Sein Bewusstsein war leer. Die Flammen der Pein waren alles, was ihm geblieben war. Sie füllten ihn aus und verbrannten ihn. Sie zehrten von seiner Seele, verhöhnten ihn und raubten ihm den Verstand. War er nicht tot? Hätte ihm der Gang zu den Schatten nicht Ruhe und Frieden bringen müssen. Was hatte er hier verloren? Er sollte im Land der Tränen sein.
Es fühlte sich ganz und gar nicht danach an. Auf einem Scheiterhaufen zu verbrennen musste eine Erlösung sein gegen dieses nicht enden wollende Schicksal in den Flammen der Pein. Er schrie. Er stöhnte. Aber das half ihm nicht. Gleichgültig was er tat, er konnte den Flammen nicht entgehen und den Schmerz nicht lindern. Das Feuer fraß ihn auf. Und wenn er glaubte, er habe die Qual überstanden, begann das Leiden von vorne. Wieder und wieder und wieder.
Doch plötzlich war alles vorbei. Arme umschlangen seinen Leib und zogen ihn heraus. Er hörte eine Stimme.
»Komm zu dir, Madhrab!«
Madhrab? War das sein Name? Die Stimme kam ihm bekannt vor. Wo hatte er sie zuletzt gehört? Es musste Ewigkeiten her sein.
»Öffne deine Augen. Du hast es
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