Kuckuckskind
year «, sagt Manuel, »Bescherung, Kartoffelsalat mit Würstchen und der überirdische Gesang meiner Mutter. Würden Sie da gern dabei sein? Sie verlangt regelmäßig, dass wir mitsingen, aber Patrick und ich genieren uns.«
Dann verlässt mich mein Kavalier, um sich für die zwanglose Promi-Party schick zu machen. Bestimmt tut er es nur, um seine Freundin hinterher mit einer eingehenden Schilderung zu beeindrucken.
Später, als ich Nüsse knackend vorm Fernseher sitze, fällt der Strom plötzlich aus. Ich bleibe gelassen, wahrscheinlich wird es gleich wieder hell. Sicherungskästen befinden sich zumeist im Keller, aber dafür ist doch wohl Patrick zuständig.
Als sich nach fünf Minuten immer noch nichts tut, taste ich nach Streichhölzern und zünde eine Kerze an. Die Stimmung ist zwar jetzt als traulich zu bezeichnen, aber das Fernsehquiz bleibt auf der Strecke. Nie werde ich erfahren, warum Aachen nicht wie andere Kurstädte die Bezeichnung »Bad« offiziell vor seinen Namen stellt. Apropos Bad – [157] wahrscheinlich wird es auch bald kein warmes Wasser mehr geben, der Computer stürzt ab, die elektrischen Uhren bleiben stehen, die Heizung wird kalt, und auf dem Herd kann ich noch nicht einmal Teewasser kochen. Bevor ich jämmerlich erfriere, sollte ich mich in die Katakomben begeben, denn Patrick ist womöglich gar nicht zu Hause.
Ganz langsam, damit die Kerze nicht ausgeht, schleiche ich hinunter. Im Keller schimmert mir eine schwache Lichtquelle entgegen. Ich treffe auf den ratlosen Patrick mit einer Taschenlampe; keine einzige Sicherung ist herausgesprungen.
»Schauen wir mal, ob es auch in den Nachbarhäusern dunkel ist«, sagt er.
Die ganze Straße ist unbeleuchtet.
»Gut, dass ich einen Vorrat an Kerzen besitze, ich bringe dir gleich ein paar nach oben«, sagt er.
Schon nach wenigen Minuten klopft es, und Patrick erscheint als Lichtbote. In der Küche suche ich Eierbecher heraus, und wir stellen in allen Räumen Kerzen auf.
Im Schlafzimmer, das Patrick noch nie gesehen hat, sage ich: »Mein neues Bett ist viel bequemer als deine uralte Matratze!«
»Na, das wird sich bald ändern, wenn du es täglich als Trampolin benützt. Wünsche fröhliches Hüpfen!«, sagt Patrick und dreht sich zur Tür.
[158] »Allein macht es doch keinen Spaß«, maule ich, und er wird endlich hellhörig, wendet sich um, kommt näher und sieht mir in die Augen. Dann sagen wir beide lange nichts mehr, denn der Kuss will kein Ende nehmen. Erst nach ausgiebigen Umarmungen wird mein neues Doppelbett seiner erhofften Bestimmung zugeführt. Wir lassen uns auch nicht stören, als das Licht wieder angeht und ein Fernsehsprecher im Nebenzimmer zu labern beginnt.
Kurz vor elf schleicht sich Patrick davon, denn er erwartet Frau und Sohn zurück. Mir macht das gar nichts aus, denn ich bin so glücklich und vergnügt wie seit Jahren nicht mehr. Lustigerweise war es bei mir früher genau umgekehrt, mein Freund und ich verzogen uns schleunigst aus dem elterlichen Schlafzimmer, bevor Vater und Mutter von der Party zurückkamen. Nur ein einziges Mal schliefen wir eng umschlungen fest ein und wurden ertappt. Meine Mutter wurde böse, weil ihr das eigene Bett heilig war, mein Vater grinste bloß und bekam deswegen Krach mit ihr. Ein Psychologe könnte sicher ergründen, warum mein Freund und ich diesen Drang zum elterlichen Schlafzimmer hatten. Vielleicht war mein eigenes Bett ja auch einfach nicht breit genug.
Nachdem Patrick wieder in den eigenen vier [159] Wänden verschwunden ist, lösche ich die Kerzenstummel, putze mir die Zähne und werfe mich erneut auf die Matratze. Ich bin so froh, dass mein neues Bett endlich auf eine gute und lustvolle Art eingeweiht wurde. Allerdings schreit alles in mir nach einer Fortsetzung, ich habe viel zu lange wie eine Nonne gelebt.
Am Heiligabend überkommt mich der Katzenjammer. Im Radio höre ich das Weihnachtsoratorium, Patricks Kerzen brennen, ich nage mit langen Zähnen an einer harten Printe. Die Geschenke meiner Mutter erweisen sich als anzüglich: ein Parfum, das ich als »schwül« bezeichnen möchte, wenn es auch mit »verführerisch« angepriesen wird. Außerdem ein transparentes Nachthemd, obwohl ich doch seit eh und je am liebsten Schlafanzüge trage. Andererseits muss ich zugeben, dass auch meine Gaben für sie nicht sonderlich einfühlsam sind, denn die beiden Bücher hatte ich bereits selbst gelesen und für langweilig befunden. Wie eine einsame alte Frau denke ich an vergangene
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