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Kuehler Grund

Titel: Kuehler Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Booth
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Ich weiß genau, wie du ihn angesehen hast. Und einmal hast du gesagt, du willst ihn heiraten, wenn du groß bist. Das weiß ich noch.«
    »Alle kleinen Mädchen haben einen Schwarm. Jetzt haben wir überhaupt keinen Kontakt mehr. Ich hätte ihn fast nicht erkannt.«
    »Mag schon sein. Aber er hat schöne Augen. Dunkelbraun.«
    Sie gingen wieder ins Haus. Helen bemerkte, dass Gwen sich kaum überwinden konnte, in die Küche zu schauen, geschweige denn hineinzugehen, obwohl die Polizei den blutigen Turnschuh und die Seiten des Buxton Advertiser längst mitgenommen hatte.
    »Jetzt sind sie sicher oben in der Villa«, sagte Helen. »Um diese Aufgabe sind sie nicht zu beneiden. Sie müssen Mr. und Mrs. Vernon sagen, was sie gefunden haben.«
    Ihre Großmutter sah auf die Uhr, nestelte an ihrer Strickjacke, zog ein rosa Papiertaschentuch aus dem Ärmel und faltete es umständlich auseinander.
    »Einer von ihnen muss die Leiche identifizieren. Ich nehme an, das wird er machen. Aber sie wird es hart treffen, Charlotte Vernon. Meinst du nicht auch, Grandma?«
    Gwen schüttelte den Kopf, und Helen sah, dass sich in ihrem Augenwinkel eine kleine Träne gebildet hatte, die die trockene Haut ihrer Wange einen Augenblick lang hell aufschimmern ließ.
    »Ich weiß ja, ich weiß«, sagte Gwen. »Eigentlich müssten sie mir Leid tun. Aber sie tun mir nicht Leid. Ich kann nichts dagegen machen, Helen.«
    Helen setzte sich auf die Armlehne des Sessels, in dem ihre Großmutter saß, und legte ihr den Arm um die schmächtigen Schultern.
    »Ist schon gut, Grandma. Das ist verständlich. Nimm es dir nicht so zu Herzen. Soll ich dir einen Kakao machen? Vielleicht finden wir etwas im Fernsehen, was du dir ansehen möchtest, bis Granddad nach Hause kommt.«
    Gwen nickte und suchte schniefend nach einem frischen Taschentuch, um sich die Nase zu putzen. Helen tätschelte ihr die Schulter, stand auf, ging ein paar Schritte in Richtung Küche, bis die Stimme ihrer Großmutter sie stoppte. Sie klang schrill und ängstlich, der Verzweiflung nahe.
    »Was wird nur mit Harry passieren?«, sagte sie. »Lieber Gott, was werden sie nur mit Harry machen?«

7
    Der Pathologie-Assistent schlug das Plastiklaken vorsichtig zurück. Die Angehörigen sollten die Verletzungen nur zu sehen bekommen, wenn es unbedingt nötig war. Das Gesicht sah schlimm genug aus, auch wenn es in der Kürze der Zeit so gut wie möglich hergerichtet worden war. Die Maden waren eingesammelt und in Gläser gefüllt, die Augen gereinigt und geschlossen, das getrocknete Blut abgeschabt und zur Untersuchung ins Labor geschickt worden. Das Haar hatte man so nach hinten gekämmt, dass die Kopfverletzungen kaum zu erkennen waren.
    »Ja«, sagte Graham Vernon, ohne zu zögern.
    »Sie identifizieren die Tote als Ihre Tochter Laura Vernon, Sir?«, fragte DCI Tailby.
    »Ja. Das habe ich doch gesagt.«
    »Vielen Dank, Sir.«
    »War das alles?«
    »Es ist eine Formalität, die es uns erlaubt, die nötigen Schritte einzuleiten.«
    Der Assistent zog bereits wieder das Laken über Lauras Gesicht und gab ihr damit bis zum Ende der Obduktion die Anonymität der Verstorbenen zurück.
    »Gehört zu diesen Schritten vielleicht auch die Verhaftung des Mörders meiner Tochter, Chief Inspector?«, fragte Vernon, ohne den Blick von der Toten zu nehmen.
    Für Tailby bestand eigentlich keine Veranlassung, bei der Identifizierung der Leiche durch Graham Vernon persönlich anwesend zu sein, aber er betrachtete es als günstige Gelegenheit, die Reaktionen der Angehörigen zu studieren. Er beobachtete Vernon, während dieser sich von den zugedeckten sterblichen Überresten entfernte, die einmal seine Tochter gewesen waren. Er sah, wie Vernons Augen mit einem faszinierten Schaudern an den losen Falten des grünen Plastiks hingen, unter dem sich das Gesicht des toten Mädchens verbarg. Seine Hände waren ständig in Bewegung. Er berührte sein Gesicht und seinen Mund, strich sein Jackett glatt oder rieb sich die Finger, eine Reihe unwillkürlicher Gesten, die sowohl Nervosität als auch dicht unter der Oberfläche liegende Trauer bedeuten konnten. Sein Gesicht sprach Bände.
    Viele Eltern und Ehepartner von Verstorbenen hatten Tailby gesagt, dass der Tod für sie in diesem Augenblick noch jenseits der Realität war. Sie stellten sich vor, dass sich der Tote plötzlich aufrichtete und über den Streich lachte, den er ihnen gespielt hatte, dass das Laken von ihm abglitt und Leben und Gesundheit in sein Gesicht

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