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Kuehler Grund

Titel: Kuehler Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Booth
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geworden war. Auf dem Original stand die junge Laura in einem Garten, hinter ihr einige in voller Blüte stehende Rhododendronsträucher, auf der einen Seite ein Stück von einer Balustrade und die obersten Stufen einer Treppe, im Gras zu ihren Füßen ein schlafender schwarzweißer Border Collie. Der vergrößerte Ausschnitt zeigte nur Kopf und Oberkörper des Mädchens. Der Hintergrund war wegretuschiert worden. Man hatte Laura die vertraute Umgebung und ihre Vergangenheit geraubt, genau wie ihr Leben.
    Fry fand eine Liste mit den Namen und Adressen aller bekannten Kontaktpersonen von Laura Vernon in Moorhay und Umgebung. Für ein fünfzehnjähriges Mädchen war es eine traurig kurze Liste. An oberster Stelle stand Lee Sherratt, zwanzig, wohnhaft Wye Close 12, Moorhay. Er hatte als Gärtner bei den Vernons gearbeitet, bis er am vergangenen Donnerstag von Lauras Vater entlassen worden war. Sherratt war kurz nach Lauras Verschwinden befragt worden, aber seit Sonntag unauffindbar. Anders als die Vernons hatten die Sherratts ihren Sohn nicht als vermisst gemeldet. Sein Name war rot unterstrichen, was bedeutete, dass die Fahndung nach ihm höchste Priorität hatte.
    Weiter unten auf der Liste standen Andrew und Margaret Milner mit ihrer Tochter Helen. Den Aufzeichnungen zufolge war Andrew ebenfalls bei Graham Vernon angestellt. Fry erinnerte sich an Helen, von ihrem Besuch im Dial Cottage mit Tailby und Hitchens. Sie war ganz nah bei dem alten Mann geblieben, als die Polizei kam – fast näher als seine eigene Ehefrau. Enge familiäre Bindungen kamen Diane Fry immer ein wenig verdächtig vor, weil sie selbst nicht viel damit anfangen konnte.
    Sie hob den Kopf und sah Cooper an, sein Profil, während er fuhr. Fast hätte sie ihm gesagt, er solle sich ein bisschen herrichten, bevor sie sich in der Öffentlichkeit zeigten. Am liebsten hätte sie ihm die Krawatte zurechtgerückt und ihm die Haare aus der Stirn gekämmt. Sie konnte dieses jungenhafte Getue nicht ausstehen.
    Doch er machte ein verschlossenes Gesicht und war völlig in seine Gedanken vertieft. Fry hatte den Eindruck, dass es keine angenehmen Gedanken waren, aber das ging sie nichts an. Sie konzentrierte sich wieder auf die Akte.
     
    Ben Cooper dachte an den Geruch. Der Gestank war schlimmer gewesen als alles, was er jemals auf einer Farm gerochen hatte. Keine Senkgrube, kein Jauchefass, keine Innereien eines frisch ausgenommenen Kaninchens oder Fasans konnten den Geruch übertreffen, der in dem Zimmer hing. Die Wände waren mit Exkrementen beschmiert, das Bettzeug lag zusammengeknüllt auf dem Boden. Auf dem Teppich war eine halb eingetrocknete Urinpfütze, unweit ähnlicher, älterer Flecken, die mit Desinfektionsmittel und Bürste bearbeitet worden waren und helle Stellen hinterlassen hatten wie die Spuren einer bösartigen Hautkrankheit. Auf dem Bettvorleger lag ein Stuhl, dem ein Bein fehlte. Ein Vorhang war von der Stange gerissen, und überall waren Seiten aus Büchern und Zeitschriften verstreut, die wie welkes Laub alle Flächen bedeckten. In einer hölzernen Obstschale auf der Kommode lag der zweite rosafarbene Hausschuh. Ein dünner Faden Blut lief an der obersten Schublade hinunter und gabelte sich über dem Griff. Schubladen und Schrank waren leer, die Kleider türmten sich auf dem Bett.
    Das Geräusch kam aus dem Kleiderhaufen, monoton und unmenschlich, ein leises, verzweifeltes Wimmern. Als er auf das Bett zuging, bewegte sich der Haufen, und das Wimmern schwoll zu einem ängstlichen Winseln an. Cooper wusste, dass die Krise vorerst vorbei war. Aber so schlimm wie heute war es mit Sicherheit noch nie gewesen. Die Beweise dafür waren im ganzen Zimmer zu sehen.
    Er beugte sich über einen Mantel mit einem Webpelzkragen, aber hütete sich davor, das Bett zu berühren, um nur ja keine heftige Reaktion auszulösen. Der vertraute Duft, der aus dem Mantel stieg, schnürte ihm die Kehle zu.
    »Ich bin es. Ben«, sagte er leise.
    Eine weiße Hand kam zum Vorschein, die nach einem Ärmel und einem Rocksaum griff, um sich besser zu verbergen. Dann wanderten die Finger wieder in die dunkle Kleiderhöhle, wie ein Krebs, der sich in seine Schale zurückzieht. Das Winseln hörte auf.
    »Das war der Teufel«, sagte eine dünne Stimme aus der Tiefe des Kleiderhaufens. »Der Teufel hat es mir eingegeben.«
    Cooper glaubte, sich erbrechen zu müssen, so unerträglich war das Geruchsgemisch aus altem Parfüm, Schweiß, Exkrementen und Urin. Er schluckte und

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