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Kuehler Grund

Titel: Kuehler Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Booth
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heiraten wollte, hinderte es ihn nicht daran, die Hälfte der weiblichen Bevölkerung des Tals zu beglücken. Aber angeblich wusste keine von ihnen, wohin Lee ging, wenn er auf Achse war. Außerdem war natürlich das Haus seiner Mutter durchsucht, sein Zimmer auf den Kopf gestellt und der Schuppen im Garten überprüft worden.
    »Und überhaupt«, sagte Mrs. Sherratt, als wäre ihr plötzlich eine Eingebung gekommen. »Die Kleine aus der Villa. Die war doch erst fünfzehn, oder?«
    »Ja, Mrs. Sherratt.«
    »Na also, nichts für meinen Lee.«
    Nachdem Tailby das Haus verlassen hatte, ging er noch einmal zu dem Beamten in dem Zivilfahrzeug hinüber.
    »Warten Sie ein paar Minuten ab, dann sehen Sie sich noch einmal den Schuppen hinter dem Haus an«, sagte er. »Aber unauffällig. Man weiß nie, vielleicht ist der heilige Lee ja auf wundersame Weise doch wieder aufgetaucht.«
     
    Als Helen Milner ihren Großvater fand, saß er auf einem Felsblock am Rande des Fußwegs, der zur Raven’s Side hinaufführte. Eine Wolke Pfeifenrauch hatte ihn verraten. Er hockte breitbeinig da, den Rücken so gerade, als säße er auf einem der alten Stühle im Cottage. Jess lag zu seinen Füßen und kaute an einem Stock, dessen Rinde in Fetzen herunterhing. Sie zerbiss das weiche Holz, dass die Späne wie Konfetti zu Boden fielen. Als Helen näher kam, blickte sie argwöhnisch hoch, sah sie tiefsinnig an und machte sich wieder über den Stock her. Leuchtend weiß schlugen ihre scharfen Zähne in das Holz.
    Harry hatte sich für seinen Morgenspaziergang eine andere Route als sonst ausgesucht. Der Grund dafür war weiter unten am Hang zu erkennen. Ein weißer Caravan stand am Rande eines Feldes, von einem Land-Rover hingeschleppt, drei weitere Geländewagen dahinter. Weiter kam man mit dem Auto nicht durch, denn gleich darauf begann der Wald, und das Gelände fiel steil und steinig zum Tal hin ab. Am Hang, innerhalb eines weiten Kreises, in dem das Dickicht gerodet und entfernt worden war, bewegten sich Gestalten in weißen Kapuzenoveralls. Ringsum waren weitere Beamte unter den Bäumen zu sehen. Einige lagen auf den Knien, als flehten sie einen Gott um Führung bei ihrer bizarren Aufgabe an. Das blaue Plastikband, das den Fundort von Laura Vernons Leiche markierte, flatterte glänzend in der Sonne.
    »Wenn der Boden nicht so trocken wäre, hätten sie den Wohnwagen nie auf das Feld schleppen können«, sagte Harry, als sich seine Enkelin zu ihm setzte.
    »Wofür brauchen sie ihn?«
    »Um Tee zu kochen und einen Happen zu essen, soweit ich sehe.«
    Helen fiel ein hemdsärmeliger Police Constable auf, der an dem Gatter zwischen Wohnwagen und Wald stand. Er hatte das Gesicht zum Berg gewandt und spähte ab und zu hinter vorgehaltener Hand gegen die Sonne zu ihnen herauf. Er beobachtete Harry.
    »Sie wissen, dass du hier bist«, sagte Helen.
    »Und es gefällt ihnen nicht, aber sie können nichts dagegen machen. Es ist ein öffentlicher Fußweg, und ich bin ihrer kostbaren Absperrung nicht zu nahe gekommen.«
    »Haben sie etwas gesagt?«
    »Aye. Vor einer halben Stunde haben sie einen Kerl zu mir raufgeschickt, der mit mir reden sollte. Er wollte wissen, wer ich bin und was ich hier mache. Er hat sich meinen Namen in sein kleines Büchlein geschrieben. Der wusste ganz genau, wer ich bin. Ich dachte schon, er wollte ein Autogramm von mir. Ich bin eine richtige Berühmtheit. Wie ein Prominenter aus dem Fernsehen.«
    »Hat dich der Polizist aufgefordert wegzugehen?«
    »Ja.«
    »Und was hast du gesagt?«
    Harrys Augen funkelten belustigt. Helen seufzte.
    »Ach, Granddad. Das solltest du nicht tun. Es bringt doch nichts, sie zu verärgern.«
    »Die können mich mal. Irgendwer muss sie schließlich aufTrab halten.«
    Während Helen ihren Großvater ansah, fragte sie sich, ob es richtig gewesen war herzukommen. Sie war zu einer Ferienkonferenz in der Schule gewesen, hatte sich aber die Erlaubnis geben lassen, früher zu gehen. Dann war sie auf dem schnellsten Weg zurück nach Moorhay gerast, um nach ihren Großeltern zu sehen. Gwen war bedrückt, aber gefasst; Harry war nicht zu Hause gewesen. Nun hatte sie ihn gefunden, doch sie erkannte ihn kaum wieder. Er schien sich noch mehr zu amüsieren als am Vortag. Dabei war ihr Großvater kein grausamer oder herzloser Mensch. Er würde sich niemals am Tod eines jungen Mädchens weiden. Aber irgendwie sah er das Ganze als persönliche Herausforderung an. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn sie gar

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