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Kuehles Grab

Titel: Kuehles Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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war schon von weitem zu hören.
    Es gab nur ein Problem mit meinen Phantasien. In meinen Träumen nannte mich niemand Tanya. Für den Mann, den ich lieben würde, wollte ich Annabelle sein.

8
    Es stellte sich heraus, dass mir die Polizei nicht helfen wollte. Paranoid oder nicht, mein Vater hatte recht gehabt: Die Justiz war ein System. Eine Polizeibehörde war dazu da, Opfern beizuspringen, Verbrecher zu fassen und die Karrieren der Polizisten zu fördern. Zeugen, Informanten – wir alle waren nur unbedeutende Objekte, die von der riesigen bürokratischen Maschinerie zermalmt wurden. Ich konnte den ganzen Tag neben dem Telefon sitzen und auf einen Anruf warten. Oder ich konnte Dori Petracelli allein ausfindig machen.
    Auf meinem Schreibtisch türmten sich Stoffmuster, Skizzen für Fensterdekorationen und Angebote an meine Kunden. Ich raffte alles zusammen und legte den hohen Haufen auf den Couchtisch. Jetzt war das Objekt meiner Begierde zu sehen: mein Laptop. Ich schaltete ihn ein und machte mich an die Arbeit.
    Als Erstes – die Website für vermisste Kinder. Fotos von drei kleinen Kindern, die in der letzten Woche als vermisst gemeldet wurden, tauchten auf dem Bildschirm auf. Ein Junge, zwei Mädchen. Aus Seattle, Chicago und St. Louis – alles Städte, in denen ich auch schon gelebt hatte.
    Manchmal fragte ich mich, ob das meiner Mutter letztlich den Todesstoß versetzt hatte. Dass wir, gleichgültig, wie schnell und wohin wir davonliefen, doch nur immer wieder erneut die Flucht ergriffen.
    Das National Center for Missing Children hatte ein eigenes Suchprogramm. Ich gab ein: weiblich, Massachusetts und vermisst in den letzten 25 Jahren. Ich klickte auf die Pfeile, um das Suchprogramm zu starten, dann lehnte ich mich zurück.
    Bella kam aus der Kochnische, wo sie ihr Fressen verschlungen hatte, und sah mich vorwurfsvoll an. Laufen sagte mir ihr Blick. Hinaus. Hol die Leine. Spaß.
    Bella war eine sieben Jahre alte reinrassige Australian-Shepherd-Hündin. Eines ihren Augen war blau, das andere braun. Das gab ihr diesen stets hochnäsigen Blick, den sie gern zu ihrem Vorteil nutzte.
    »Einen Moment«, vertröstete ich sie.
    Bella wimmerte, und als das auch nichts fruchtete, ließ sie sich beleidigt auf den Boden fallen. Ich hatte sie vor vier Jahren von einer Kundin bekommen, die mich nicht bezahlen konnte. Um ehrlich zu sein, Australian Shepherds sind keine Hunde, die man gut in einer Wohnung halten kann. Wenn man sie nicht richtig beschäftigt, machen sie Ärger.
    Aber Bella und ich kamen gut zurecht. Hauptsächlich, weil ich gern joggte und es Bella, obwohl sie bereits das mittlere Hundealter erreicht hatte, nichts ausmachte, schnelle sechs Meilen zurückzulegen.
    Ich musste wohl oder übel mit ihr raus, sonst bestand die Gefahr, dass sie mein liebstes Sofakissen zerfetzte.
    Die Suche war beendet. Auf meinem Bildschirm erschien eine lange Reihe glücklicher Gesichter. Schulfotos, Nahaufnahmen aus dem Familienalbum. Die Vermisstenfotos zeigten immer fröhliche Kinder. Das machte alles nur noch schmerzhafter.
    Ergebnis: fünfzehn vermisste Mädchen.
    Ich fasste nach der Maus und arbeitete mich langsam weiter: Anna, Gisela, Jennifer, Janeeka, Sandy, Katherine, Katie …
    Es fiel mir schwer, die Fotos zu betrachten. Trotz der Zweifel, was meinen Vater betraf, fragte ich mich unwillkürlich, ob ich eines dieser Kinder geworden wäre, wenn wir nicht dauernd umgezogen wären und er nicht so aufgepasst hätte.
    Wieder musste ich an das Medaillon denken. Wer hatte es auf die Veranda gelegt? Und wieso, um Himmels willen, hatte ich es Dori gegeben?
    Ihr Name stand nicht auf der Liste. Ich atmete erleichtert auf. Bella spitzte die Ohren; sie spürte, dass meine Spannung nachließ, und hoffte auf die abendliche Routine.
    Doch dann sah ich die Daten. Keiner der Fälle ging weiter zurück als bis 1997. Vielleicht waren die früheren Fälle nicht in dieser Datenbank gespeichert. Wieder überlegte ich, welche Möglichkeiten ich noch hatte.
    Ich könnte die Hotline anrufen, müsste dann aber vermutlich jede Menge Fragen beantworten. Ich bevorzugte die Anonymität der Internet-Recherche. Na ja, zumindest den Anschein der Anonymität, denn Gott allein wusste, wie weit verbreitet die Spionageprogramme waren, die die Regierung oder Marktforschungsunternehmen einsetzten, um jeden meiner Schritte zu verfolgen.
    Ich wusste, wo ich es noch versuchen konnte. Ich klickte die Seite nicht oft an, weil sie mich traurig machte.
    Ich tippte

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