Kuehles Grab
Straße ein Fahrzeug oder überhaupt irgendetwas besitzen könnte.«
»Sie suchten einen Obdachlosen, einen Geistesgestörten.«
»Genau. Aber wenn ich mir die Fotos von dem Dachboden anschaue, sehe ich nicht das Quartier eines Stadtstreichers. Aus der Sicht eines Scharfschützen war das eher der Ausguck eines Jägers – hoch oben und direkt gegenüber vom Haus der Grangers. Der Bursche hatte ein Dach über dem Kopf, einen Schlafsack, um es sich bequem zu machen, ein paar Snacks für den Fall, dass er Hunger verspürte, und einen Eimer für die Notdurft. Das ist perfekt. Bei der Jagd geht es hauptsächlich um Geduld. Der Typ hatte das perfekte Versteck, um sein Opfer über einen langen Zeitraum zu beobachten.«
»Gut geplant«, sagte D. D. leise.
»Berechnend«, ergänzte Bobby. »Clever. Dieser Kerl, der Spanner, hat so was schon öfter gemacht.«
»Vielleicht fünfmal?«
Bobby nickte gelassen. »Vielleicht. Ich möchte wetten, dass Annabelle Granger ins Visier eines gerissenen Pädophilen geraten war, der zu dem Zeitpunkt schon mindestens ein Mädchen entführt hatte. Und wenn Annabelles Vater nicht ein so paranoider Typ gewesen wäre, hätten wir ihre Leiche und nicht die von Dori Petracelli in dem Erdloch gefunden. Annabelle Granger ist davongekommen. Dori hatte dieses Glück nicht.«
D. D. rieb sich das Gesicht. »Und das alles war ganz bestimmt im Jahr 1982?«
»Es war 1982.«
»Und du bist sicher, dass Richard Umbrio zu dieser Zeit schon in Walpole gesessen hat?«
»Ja. Auch dieses Datum habe ich in verschiedenen Akten und Berichten überprüft. Der Spanner war nicht Umbrio. Sieh dir an, wie der Täter vorgegangen ist. Umbrio hat sich geschnappt, was ihm vor die Flinte kam. ›Hey, Mädchen, hast du meinen weggelaufenen Hund gesehen?‹ Dieser Täter hier ging viel raffinierter vor.«
»Aber diese unterirdischen Kammern!«, rief D. D. aus. »Die verblüffende Ähnlichkeit zwischen Annabelle Granger und Catherine Gagnon. Du kannst mir nicht weismachen, dass das alles reine Zufälle sind.«
»Es gibt andere Möglichkeiten. Ein Nachahmer, zum Beispiel. Im August 1982 hatte Umbrio sein Gerichtsverfahren längst hinter sich, und die Einzelheiten seiner Tat waren öffentlich bekannt. Vielleicht hat das jemanden inspiriert.«
»Aber Fotos von Opfern werden nicht veröffentlicht, schon gar nicht die von Kindern«, entgegnete D. D. »Wie erklärst du dir die Ähnlichkeit zwischen Annabelle und Catherine?«
»Während des Prozesses werden keine Fotos veröffentlicht, aber Catherines Personenbeschreibung wurde in allen Radio- und Fernsehnachrichten durchgegeben, als sie noch vermisst wurde. Und die Suche dauerte vier ganze Wochen.« Bobby nahm die Hände vom Hinterkopf. »Umbrio war nicht gerade redselig. Er hat der Polizei nie freiwillig Informationen preisgegeben, nicht einmal, nachdem er zweifelsfrei überführt worden war. Also muss man in Betracht ziehen, dass es noch andere Opfer gab und dass er vielleicht einen Helfer hatte.«
»Ein unidentifizierter Komplize?«
»Ja. Umbrio war kaum zwanzig, als er verurteilt wurde, selbst noch ein halbes Kind. Manchmal können zwei zornige Halbwüchsige …«
»Klebold und Harris.«
»So was kommt vor. Und außerdem denke ich an Zellengenossen und Mithäftlinge. Pädophile scheinen einen Hang zu Netzwerken zu haben. Denk doch mal an all die Internet-Gruppen und den internationalen Kinderhandel, die Ringe, die in den letzten Jahren aufgeflogen sind. Mehr als alle anderen Gewalttäter plaudern Pädophile gern. Umbrio wanderte mit dem Ruf, ein ziemlich schlauer, kreativer Triebtäter zu sein, ins Gefängnis. Womöglich hat ihn jemand dort angesprochen.«
D. D. funkelte ihn an. »Ich dachte, du hast etwas für die Pressekonferenz. Was, zum Teufel, soll ich davon an die Journalisten weitergeben?«
Bobby hielt eine Hand hoch. »Da ist noch etwas zu beachten. Polizisteninstinkt. Du hast es selbst in der Minute gespürt, in der du die Kammer betreten hast. Catherine Gagnons Fall hängt irgendwie mit den Vorgängen in Mattapan zusammen. Deshalb hat Catherines Anruf auch eine Bedeutung.«
Man sah D. D. regelrecht an, dass sie neue Hoffnung schöpfte. »Catherine kehrt nach Massachusetts zurück? Sie will mit uns reden? Sie lässt zu, dass wir sie endlich verhaften können, weil sie die Erschießung ihres Mannes geplant und geschickt eingefädelt hat?«
»Hmm, nicht ganz. Sie kommt nicht hierher. Wir fahren zu ihr.«
»O ja, zwei Detectives fliegen nach Arizona.
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