Kuehles Grab
verpassen?«
»Sind Sie absolut sicher, dass Sie nicht doch Bilder aus Ihrer Kindheit aufbewahrt haben? Fotoalben, Aufnahmen von Ihrem alten Haus, von Nachbarn, Schulfreundinnen? Das würde uns weiterhelfen.«
»Wir haben alles im Haus zurückgelassen. Keine Ahnung, was mit den Sachen passiert ist.«
Bobby runzelte die Stirn und machte sich eine Notiz. »Was ist mit Verwandten? Großeltern, Tanten, Onkel? Jemand, der Abzüge von den alten Fotos haben könnte und glücklich wäre, nach all den Jahren von Ihnen zu hören?«
Sie schüttelte den Kopf. »Keine Verwandte; das ist einer der Gründe, warum es so einfach war, sich aus dem Staub zu machen. Mein Vater war eine Waise, ein Produkt der Milton Hershey School in Pennsylvania. Ihrer Erziehung verdankte er den gelungenen Start in eine akademische Laufbahn. Und die Eltern meiner Mutter kamen kurz nach meiner Geburt bei einem Unfall ums Leben. Meine Mutter sprach nicht oft über sie. Ich glaube, sie hat sie schrecklich vermisst. Wissen Sie«, sagte Annabelle unvermittelt und schaute auf, »es gibt jemanden, der Fotos haben könnte. Mrs. Petracelli, Dori und ich wohnten in derselben Straße, gingen in dieselbe Schule und verbrachten viel Zeit miteinander. Möglicherweise hat sie noch Fotos von meiner Familie. Bisher ist mir dieser Gedanke noch nie gekommen. Vielleicht hat sie ein Bild von meiner Mutter.«
»Gute Idee.«
»Haben … haben Sie schon mit ihnen gesprochen?«, fragte sie zögerlich.
»Mit wem?«
»Den Petracellis. Haben Sie ihnen gesagt, dass Sie Dori gefunden haben? Es ist eine schreckliche Nachricht, und trotzdem kann ich mir vorstellen, dass sie dankbar wären, wenn sie wüssten, was mit ihrer Tochter geschehen ist.«
»Wir müssen noch warten, bis wir anhand der gerichtsmedizinischen Untersuchungen die Identität zweifelsfrei bestätigen können. Noch wahrscheinlicher ist, dass wir die Eltern um DNA-Proben für einen Abgleich bitten müssen.« Er sah Annabelle eine Weile nachdenklich an und fällte einen Entschluss, für den ihn D. D. hassen würde. »Sie wollen Insider-Informationen? Von einer Sache wissen die Medien bisher noch nichts – die Leichen sind mumifiziert. Das erschwert die Untersuchungen. Wohl oder übel müssen wir auf genauere Angaben über die Opfer ein wenig länger als sonst warten.«
»Ich möchte es mir ansehen.«
»Was?«
»Das Grab. Die Stelle, wo Sie Dori gefunden haben.«
»O nein«, wehrte er ab. »Zu Tatorten werden nur Profis zugelassen. Wir veranstalten keine öffentlichen Führungen. Anwälte, Richter, D. D. – sie alle würden mir die Hölle heiß machen.«
Annabelle reckte das Kinn vor. »Ich bin nicht die Öffentlichkeit – ich bin eine potentielle Zeugin.«
»Die nach eigener Aussage nie etwas gesehen hat.«
»Möglicherweise erinnere ich mich nur nicht. Wenn ich diese Grube sehe, fällt mir vielleicht wieder etwas ein.«
»Annabelle, tun Sie Ihrer Freundin einen Gefallen: Behalten Sie sie als glückliche Spielkameradin in Ihrem Gedächtnis. Das ist das Beste, was Sie tun können.« Er klappte sein Notizbuch zu und steckte es ein, dann trank er das Wasser aus und stellte das leere Glas ins Spülbecken.
»Da ist noch eine Sache«, sagte er plötzlich, als wäre ihm das gerade erst eingefallen.
»Was?«
»Na ja, ich weiß nicht so recht. Dori Petracelli ist 1982 verschwunden – das Datum scheint sicher. Verwirrend ist nur, dass ihre Entführung einem anderen Fall von 1980 ähnelt. Ein Mann namens Richard Umbrio hat damals ein zwölfjähriges Mädchen gekidnappt und es in einem Erdloch gefangen gehalten. Vermutlich hätte er sie umgebracht, wenn Jäger nicht zufällig die Falltür entdeckt und das Kind befreit hätten.«
»Sie hat noch gelebt? Ist sie immer noch am Leben?«, rief Annabelle schrill.
Bobby nickte und steckte die Hände in die Hosentaschen. »Catherine hat gegen Umbrio ausgesagt und ihn hinter Schloss und Riegel gebracht. Genau das ist das Seltsame, verstehen Sie? Umbrio saß erst in Untersuchungshaft und ab Januar 1982 im Gefängnis. Dennoch …«
»Scheinen die beiden Fälle miteinander in Zusammenhang zu stehen«, ergänzte Annabelle.
»Genau.« Er betrachtete sie von oben bis unten. »Sind Sie Catherine nie begegnet?«
»Ich glaube nicht.«
»Catherine glaubt auch, Sie nie kennengelernt zu haben. Und trotzdem …«
»Wie sieht sie aus?«
»Oh, sie hat in etwa Ihre Größe. Dunkle Haare, dunkle Augen. Wenn ich genauer drüber nachdenke, dann ist sie Ihnen sogar ziemlich
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