Kuehles Grab
ähnlich.«
Diese Neuigkeit bereitete Annabelle sichtlich Unbehagen, und Bobby entschied sich, den Stier bei den Hörnern zu packen.
»Was halten Sie davon, Catherine zu treffen? Von Angesicht zu Angesicht. Wenn wir Sie beide in einem Raum zusammenbringen … vielleicht weckt das irgendwelche Erinnerungen.«
Er sah, wie Annabelle erstarrte, und wartete auf einen Wutausbruch, doch sie blieb regungslos.
»Du musst das System nicht mögen«, flüsterte sie dann. »Du musst es nur verstehen. Dann kannst du überleben.« Ihre dunklen Augen funkelten. »Wo lebt diese Catherine?«
»In Arizona.«
»Fliegen wir hin, oder kommt sie her?«
»Aus mehreren Gründen ist es besser, wenn wir sie besuchen.«
»Wann?«
»Wie wär's mit morgen?«
»Gut. Das lässt uns noch genügend Zeit.«
»Wofür?«
»Dass Sie mich zu dem Tatort begleiten. Eine Hand wäscht die andere, Detective – so heißt es doch immer, oder?«
Sie hatte ihn am Haken. Er nickte knapp und gestand so seine Niederlage ein. Dennoch behielt sie ihre starre Haltung bei.
Bobby ging zur Wohnungstür. Bella erhob sich von ihrem Lager und leckte seine Hand, während Annabelle die Festung, die ihre Wohnung in Wahrheit war, öffnete. In der offenen Tür sah sie ihn erwartungsvoll an.
»Haben Sie Angst?«, fragte er plötzlich und deutete auf die vielen Riegel.
»Das Glück begünstigt diejenigen, die vorbereitet sind«, murmelte sie.
»Das ist keine Antwort auf meine Frage.«
Sie schwieg eine Weile. »Manchmal«, sagte sie dann.
»Sie leben mitten in der Stadt, aber an Sicherheit muss man immer denken.«
Sie musterte ihn. »Warum fragen Sie mich ständig, weshalb meine Familie auf der Flucht war?«
»Ich denke, das wissen Sie.«
»Weil Verbrecher nie wie durch ein Wunder aufhören, Verbrecher zu sein. Ein Mann verbringt nicht Jahre damit, Mädchen nachzustellen und zu entführen, um sich plötzlich für ein ganz neues Hobby zu entscheiden. Sie glauben, dass mein Vater mehr wusste und gute Gründe hatte, immer wieder umzuziehen.«
»An Sicherheit muss man immer denken«, wiederholte er.
Sie lächelte matt. »Um wie viel Uhr?«
Er schaute auf seine Armbanduhr – er musste mit D. D. telefonieren und ihren Wutausbruch über sich ergehen lassen. »Ich hole Sie um zwei ab.«
Sie nickte.
Er verabschiedete sich und war auf den ersten Stufen, als er hörte, wie die Riegel wieder vorgeschoben wurden.
12
Ich war noch nie in einem Polizeiwagen mitgefahren und wusste ehrlich nicht, was mich erwartete. Harte Plastiksitze? Der Gestank von Erbrochenem und Urin? Wie meine Erfahrungen mit dem Bostoner Polizeipräsidium war auch diesmal die Realität eine Enttäuschung. Der dunkelblaue Crown Vic sah aus wie jede andere viertürige Limousine.
Nervös schnallte ich mich auf dem Beifahrersitz an. Meine Hände zitterten. Ich brauchte drei Versuche, bis der Gurt einklinkte. Detective Dodge machte keinerlei Anstalten, mir zu helfen, und enthielt sich jeden Kommentars.
Ich hatte die Zeit nach seinem Besuch für eine Kundin aus Back Bay gearbeitet. Allerdings hielt ich hauptsächlich den schillernden Seidenstoff in der Maschine fest, ohne den Fuß aufs Pedal zu stellen, und heftete den Blick auf den Fernseher. Berichte über den Mattapan-Fall liefen auf allen Kanälen rund um die Uhr. Die Reporter bestätigten, dass sechs Leichen in einer unterirdischen Kammer auf dem Grundstück der ehemaligen Irrenanstalt gefunden worden waren. Man nahm an, dass es sich bei den Opfern um junge Mädchen handelte, die möglicherweise einige Zeit in der Kammer gefangen gehalten wurden. Die Polizei verfolge derzeit mehrere Spuren. Von dem Medaillon war keine Rede. Genauso wenig von Dori oder Richard Umbrio.
Ich gab das Nähen auf und suchte im Internet nach Richard Umbrio. Seine Story fand ich unter »Todesschüsse in Back Bay« – ein Artikel über die Überlebende mitternächtlicher Polizeischüsse, Catherine Gagnon, die bereits als Kind eine Tragödie überstanden hatte. Mit zwölf Jahren war sie von dem mittlerweile rechtskräftig verurteilten Pädophilen einen Monat lang gefangen gehalten worden, bis sie zufällig von Jägern kurz vor Thanksgiving gefunden wurde.
In diesem Artikel stand jedoch nicht Umbrio im Mittelpunkt; man befasste sich vielmehr mit Catherines Ehemann und Sohn eines wohlhabenden Bostoner Richters, Jimmy Gagnon, der von einem Scharfschützen der Polizei bei einer gefährlichen Geiselnahme erschossen worden war. Der Name des Officer, der den tödlichen Schuss
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