Kuehles Grab
abgegeben hatte, lautete: Robert G. Dodge.
Der Vater des Opfers, Richter Gagnon, erhob Anklage gegen Officer Bobby Dodge, mit der Begründung, der Scharfschütze habe mit Catherine Gagnon gemeinsam geplant, den Ehemann umzubringen.
Nun, das war eine interessante Information, die sowohl Detective Dodge als auch Sergeant Warren verschwiegen hatten.
Und als wäre das nicht schon schockierend genug, fand ich noch eine andere Story, die auf ein paar Tage später datiert war: »Blutbad im Penthouse – Drei Tote und ein Schwerverletzter!« Der kürzlich auf Bewährung entlassene Häftling Richard Umbrio stürmte ein Luxushotel in Bostons Innenstadt. Umbrio brachte zwei Menschen mit bloßen Händen um, bevor ihn Catherine Gagnon mit einem tödlichen Schuss außer Gefecht setzte; der Officer der Massachusetts State Police Robert G. Dodge war bei diesem Vorfall zugegen.
Ich sagte nichts dazu, während ich neben Detective Dodge im Wagen saß. Bobby hatte in meiner Vergangenheit gewühlt. Jetzt wusste ich auch ein paar Dinge über ihn.
Ich spähte verstohlen zu ihm. Er hatte die rechte Hand lässig auf dem Steuerrad und den linken Ellbogen auf den Türrahmen gestützt. Er schlängelte sich durch die schmalen Seitenstraßen und parkenden Autos wie ein NASCAR-Pilot bei der Aufwärmrunde. Bei dieser Geschwindigkeit würden wir es in unter fünfzehn Minuten bis Mattapan schaffen.
Ich war nicht sicher, ob ich bis dahin bereit war.
Ich drehte mich zur Seite und schaute aus dem Fenster. Wenn ihm das Schweigen nichts ausmachte, dann störte ich mich auch nicht daran.
Mir war selbst nicht klar, warum ich mir den Tatort unbedingt ansehen wollte. Ich hatte die Zeitungsausschnitte über Doris letzte Tage gelesen und mein Medaillon gesehen, das sie so stolz am Hals trug. Plötzlich gingen mir unzählige Fragen durch den Kopf – vermutlich dieselben Fragen, die Doris Eltern seit fünfundzwanzig Jahren jede Nacht quälten.
Hatte sie um Hilfe geschrien, als sie aus dem Garten ihrer Großeltern entführt und in einen Van bugsiert worden war? Hatte sie mit ihrem Kidnapper gekämpft? Oder versucht, die Autotür zu öffnen? Hatte der Mann mit ihr geredet? Nach dem Medaillon gefragt? Sie beschuldigt, es einer Freundin gestohlen zu haben? Und hatte sie gebeten, stehenzubleiben und statt ihrer Annabelle Granger zu entführen?
Der Wagen bremste ab. Ich blinzelte heftig und schämte mich, weil mir Tränen in den Augen standen. Hastig wischte ich mir über das Gesicht.
Detective Dodge blieb stehen. Ich hatte keine Ahnung, wo wir waren, sah ein paar alte dreistöckige Häuser, die einen frischen Anstrich dringend gebrauchen konnten. Die Gegend wirkte verwahrlost, ärmlich.
Dodge drehte sich zu mir. »Es gibt zwei Zugänge. Wir, die Polizei, haben sie sorgfältig mit Bändern abgesperrt, um den Tatort abzusichern. Unglücklicherweise campiert die Presse vor beiden Zugängen. Ich nehme an, Sie sind nicht scharf darauf, Ihr Gesicht in den Nachrichten zu sehen.«
Diese Vorstellung erschreckte mich so sehr, dass ich kein Wort herausbrachte.
Bobby deutete auf den Rücksitz, auf dem, wie ich erst jetzt sah, eine zusammengefaltete Decke lag, die fast dieselbe Farbe wie die Sitzbezüge hatte. »Sie legen sich hin; ich decke Sie zu. Mit etwas Glück kommen wir so schnell an der gierigen Meute vorbei, dass niemand etwas bemerkt. Sobald wir innerhalb der Absperrung sind, können Sie sich aufsetzen. Die Luftfahrtbehörde hat den Luftraum gesperrt. Also können uns auch die Presse-Hubschrauber das Leben nicht schwermachen.«
Er stieß seine Tür auf und stieg aus. Wie auf Autopilot kletterte ich auf den Rücksitz, legte mich mit angezogenen Knien auf die Seite und drückte die Arme an die Brust. Dodge schüttelte die Decke aus und breitete sie über mich, dann zupfte er sie an den Füßen und am Kopf zurecht.
»Alles in Ordnung?«, fragte er.
Ich nickte. Die hintere Tür schlug zu. Ich bekam mit, wie er wieder einstieg und den Motor anließ.
Sehen konnte ich nichts mehr, dafür hörte ich, wie die Reifen über den Asphalt rollten. Ich kniff die Augen zusammen, und in diesem Moment kapierte ich. Mit einem Mal wusste ich, wie sich Dori in dem fremden Auto, verborgen vor den Blicken anderer, gefühlt hatte. Wahrscheinlich hatte sie sich zusammengerollt und immer kleiner und kleiner gemacht, die Augen geschlossen und sich gewünscht, sie könne sich in Luft auflösen. Ich wusste, dass sie das Vaterunser gebetet hatte, denn das hatten wir auch jeden
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