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Kuehles Grab

Titel: Kuehles Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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    Einer von ihnen bringt ein Krächzen heraus. Paulie wirbelt zu ihm herum. Ich springe über das, was vom Tisch noch übrig ist, und nehme ihn von hinten in den Schwitzkasten. Paul brüllt und versucht, mich abzuschütteln. Endlich erwachen meine Kollegen aus ihrer Trance und helfen mir, ihn festzuhalten. Wir brauchen jede Menge Beruhigungsmittel und noch volle zwei Stunden, um Paulie ruhigzustellen. Ich muss wohl nicht erwähnen, dass Paulie nach diesem Vorfall nie wieder aus der Gummizelle gelassen wurde. Das ist also schon mal ein Name für Sie: Paulie Nicholas!«
    Charlie sah die beiden Ermittler erwartungsvoll an. Detective Dodge notierte sich artig den Namen; Sergeant Warren hingegen runzelte die Stirn.
    »Sie sagten, dieser Patient Paul Nicholas sei in der Gummizelle geblieben.«
    »Ja, Ma'am.«
    »Und wenn er doch mal rauskam, stand er sicherlich unter starken Medikamenten.«
    »O ja, Ma'am. Bei solchen Burschen war nichts anderes möglich.«
    »Ich verstehe, Charlie. Nicholas war für Sie und Ihre Kollegen eine Bedrohung. Aber er schien ständig unter Aufsicht gestanden zu haben und hatte wohl kaum Gelegenheit, allein auf dem Grundstück umherzustreifen.«
    »Bestimmt nicht. Paul war im Hochsicherheitstrakt. Das hieß, er war rund um die Uhr eingesperrt. Solche Patienten konnten nicht umherstreifen.«
    Sergeant Warren nickte. »Die Person, die wir suchen, muss Bewegungsfreiheit gehabt haben, Charlie. Oft im Freien gewesen sein. Wurde das einigen Patienten gestattet, oder müssen wir uns unter den Angestellten umsehen?«
    Charlie überlegte angestrengt und zog seine Liste zu Rate. »Nun, eigentlich wollte ich nicht davon anfangen, aber da gab es einen Zwischenfall …«
    »Ja?«, drängte Warren.
    »1970«, begann Charlie. »Die Oberschwester Jill Cochrane mochte uns College-Jungs. Wir waren kräftig und freundlich. Wir versorgten die Patienten nicht nur, sondern kümmerten uns wirklich um sie. Ich wollte damals schon Pfarrer werden. Die Arbeit in einer psychiatrischen Klinik ist ein guter Anfang, wenn man gepeinigte Seelen erreichen will. Ich erfuhr aus erster Hand, wie wichtig das richtige Wort für einen Menschen sein kann. Andererseits muss ich sagen, dass niemand zu lange an diesem Ort bleiben sollte, nicht einmal das Personal. Die älteren Burschen, die erfahrenen Pfleger, die schon Jahrzehnte hier arbeiteten … liebe Güte, manche von ihnen waren einsamer als die Patienten. Sie waren praktisch auch hier eingesperrt und vergaßen, dass es noch ein Leben außerhalb der Klinikmauern gab. Als ich in der Aufnahme anfing, lief hier ein Patient mit einem schmutzigen Verband am Bein herum. Am ersten Abend fragte ich den Stationspfleger, was es mit dem Verband auf sich habe. Er hatte keine Ahnung. Ihm war nicht mal aufgefallen, dass der Patient ein verbundenes Bein hatte. Also ging ich ins Zimmer des Patienten und fragte ihn, ob ich mir sein Bein ansehen dürfe. In der Sekunde, in der ich den Verband abgenommen hatte, strömte Eiter auf den Fußboden. Und direkt vor meinen Augen wimmelten Maden aus der offenen Wunde. Wie sich herausstellte, hatte der arme Kerl zwei Monate zuvor ein Geschwür am Bein. Der Arzt schnitt es auf und legte den Verband an. Kein Pfleger hat sich die Wunde je wieder angeschaut, geschweige denn den Verband gewechselt. Der Patient ist zwei Monate lang an den Angestellten vorbeigegangen, aber niemand hat ihn wirklich gesehen. Das war schlimm, aber hin und wieder wurde es noch ärger.«
    Charlie verstummte und machte erneut einen verunsicherten Eindruck. Die beiden Detectives hörten ihm aufmerksam zu. Von meinem Blickwinkel aus schien es, als würden Warren und Dodge an den Lippen des älteren Mannes hängen.
    Der pensionierte Pfarrer holte tief Luft. »Eines Abends bekomme ich einen Anruf von einer Schwester aus der Frauenstation. Keri Stracke. Sie fragt mich, ob ein Sowieso Dienst hat. Ich sage ja. Ken will wissen, wo er ist. Ich sehe mich im I-Bau um, finde ihn aber nicht. Er ist nicht auf der Station, vielleicht macht er Pause – das sage ich Keri. Sie schweigt lange, dann bittet sie mich, sofort zu ihr zu kommen.
    Ich bin der einzige Pfleger auf unserer Station und kann nicht einfach das Gebäude verlassen und ins Haus der Frauen gehen. Das versuche ich ihr klarzumachen, aber sie wiederholt nur in einem eigenartigen Tonfall, ich müsse sofort kommen. Was soll ich tun? Mittlerweile mache ich mir ernsthafte Sorgen. Ich gehe hinüber. Keri erwartet mich vor dem Eingang und

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