Kuehles Grab
führt mich ohne ein Wort die Treppe hinauf. Vor der geschlossenen Tür eines Patientinnenzimmers bleibt sie stehen. Ich spähe durch das kleine Fenster in der Tür und sehe meinen Kollegen – im Bett mit einer Patientin. Sie ist siebzehn Jahre alt und sehr hübsch. Nie in meinem Leben hatte ich so große Lust, einem Menschen etwas anzutun, wie in diesem Moment.«
»Was haben Sie getan?«, wollte Detective Dodge wissen.
»Ich öffnete die Tür. Als Adam ein Geräusch hörte, schaute er auf. Er wusste, dass es vorbei war. Er stieg von dem Mädchen, zog den Reißverschluss seiner Hose zu und verließ das Zimmer. Ich begleitete ihn zurück in den I-Bau und rief unseren Vorgesetzten an. Adam wurde auf der Stelle gefeuert. Gleichgültig, welche Geschichten über den Missbrauch von Patienten die Runde machen, ein solches Verhalten wurde hier niemals geduldet. Adam war erledigt, das war ihm selbst bewusst.«
»Wie lautet Adams Nachname?«, erkundigte sich Dodge.
»Schmidt.« Charlie seufzte.
»Wurde dieser Vorfall der Polizei gemeldet?«, fragte Sergeant Warren.
Charlie schüttelte den Kopf. »Nein, die Klinikverwaltung wollte die Sache unter Verschluss halten.«
Warren zog eine Augenbraue hoch. »Wissen Sie, was aus Adam wurde?«
»Nein, aber …« Wieder dieses Zögern. »Ich habe ihn noch einige Male gesehen. Hier auf dem Grundstück. Zweimal von weitem, trotzdem war ich ganz sicher, dass er es war. Beim dritten Mal lief ich ihm nach und fragte ihn, was er hier zu suchen hatte. Er behauptete, er müsse noch Papierkram erledigen. Da es schon zehn Uhr abends war, kam mir das komisch vor. Am nächsten Tag ging ich der Sache nach und sprach mit Jill Cochrane. Sie wusste nichts von Adams Papierkram. Eine Weile behielten wir die Patientinnen aufmerksam im Auge. Niemand sprach darüber, aber wir waren auf der Hut. Ich sah Adam nie wieder, doch das Gelände ist sehr weitläufig.«
Dodge zog die Stirn kraus. »Waren Patrouillen auf dem Grundstück unterwegs? Wurde das Grundstück besonders abgesichert?«
»Wir verschlossen nachts die Tore, und vom Personal war Tag und Nacht jemand da. Allerdings … in den frühen Morgenstunden spazierten Pfleger wie ich bestimmt nicht durchs Gelände. Wir mussten uns um die Patienten kümmern und blieben in den Stationszimmern.« Charlie zuckte mit den Schultern. »Es ist durchaus möglich, dass jemand unbemerkt aus und ein ging. Das passierte schon einmal, müssen Sie wissen.«
»Schon einmal?«, fragte Warren nach.
»Auf dem Grundstück geschah ein Mord – Mitte der siebziger Jahre. Eine Schwester wurde getötet. Soweit ich weiß, schaute einer der Pfleger aus dem Fenster der Aufnahme und entdeckte ihre Leiche. Ingrid, Inga … Inge Lovell, so hieß sie, glaube ich. Sie wurde vergewaltigt und erschlagen. Eine schreckliche, fürchterliche Tragödie. Die Polizei wurde gerufen, aber es gab keine Zeugen für die Tat – niemand vom Personal hat etwas mitbekommen.«
Warren nickte. Offenbar erinnerte sie sich an diesen Fall. »Es wurde niemand festgenommen«, sagte sie.
»Man munkelte, ein Patient sei der Täter gewesen«, fuhr Charlie fort. »Um genau zu sein, die meisten hatten Christopher Eola in Verdacht. Mich würde es nicht überraschen, wenn er wirklich der Täter gewesen wäre. Eola wurde nach meiner Zeit als Pfleger in der Klinik aufgenommen. Ich lief ihm ein- oder zweimal über den Weg, wenn ich am Sonntag als Seelsorger herkam. Ein unheimlicher Bursche, dieser Mr. Eola. Eiskalt und verrückt.«
Dodge blätterte in seinem Notizbuch. »Christopher Eola.«
»Die Hotline«, raunte Warren.
Jetzt wurden beide Detectives hellhörig.
»Was können Sie uns über diesen Christopher Eola erzählen?«, fragte Warren.
Charlie legte den Kopf schief. »Möchten Sie die Kurzversion hören oder die Geschichte, die sich die Klatschmäuler erzählt haben?«
»Wir möchten alles hören«, erwiderte Warren.
»Eola kam als junger Mann hierher. Angeblich wurde er von seinen Eltern eingeliefert. Sie brachten ihn her, fuhren postwendend zurück in ihre Villa und wurden hier nie wieder gesehen. Es hieß, Eola habe eine unschickliche Beziehung zu seiner jüngeren Schwester gehabt. Die Eltern erwischten die beiden in flagranti. Und das war's. Bye-bye, Christopher.
Eola war ein gutaussehender Junge. Hellbraunes Haar, strahlendblaue Augen. Nicht groß, aber schlank und gepflegt. Vielleicht sogar eine Spur feminin, weshalb ihn die meisten Pfleger nicht als bedrohlich einstuften. Und er war
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